Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Seit 1961 schickt die Schweiz jährlich einen Film ins Rennen um den
Oscar für den besten fremdsprachigen Streifen. Mit Rolando Collas Giochi d'estate wird diese Ehre nun erstmals einem italienisch
gesprochenen Leinwandwerk zuteil. Leider bleibt dieses hinter den
Erwartungen zurück.
Kindliche und (früh)pubertäre Sommereskapaden sind beileibe kein
Novum in der Welt des Kinos – man denke an Filme wie Robert
Mulligans Summer of '42 oder Hayao Miyazakis märchenhaftes
Anime My Neighbor Totoro. In diese Kerbe schlägt auch Rolando
Collas neuester Film. Seine Hauptfigur ist Nic (Armando Condolucci),
ein 12-jähriger Junge, der mit seinem wankelmütigen Vater Vincenzo
(Antonio Merone), seiner Mutter (Alessia Barela) und seinem jüngeren
Bruder Agostino (Marco D'Orazi) in der Toskana Camping-Sommerferien
macht. Am Strand begegnen ihm und Agostino die Mädchen Patty (Chiara
Scolari) und Marie (Fiorella Campanella) sowie der Draufgänger Lee
(Francesco Huang). Nach einigen Konflikten freunden sich die
Jugendlichen an und beginnen ihre sommerlichen Spiele, die mal
harmlos, mal weniger harmlos sind.
Was Colla in Giochi d'estate darzustellen versucht, ist
offensichtlich: Sein Ziel war es, die Frustrationen und das erotische "Knistern" der frühen Jugend darzustellen. Gelungen ist ihm das
aber nur stellenweise, da der Film mit einigen grundsätzlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Dies fängt bei den minderjährigen
Darstellern an, deren Schauspiel im günstigsten Falle (Huang,
Campanella) mittelmässig, im schlechtesten (Condolucci, D'Orazi)
unerträglich steif ist. Besonders in der Prügelei kurz nach
Filmbeginn wirken die Kinder so natürlich, als läsen sie ihren Text
von ihren Handflächen ab. Ein weiterer Krisenherd ist das von nicht
weniger als vier Leuten verfasste Drehbuch. Zwar wartet die
Geschichte mit ein paar wahrhaftig inspirierten Momenten auf –
unterstützt durch Lorenz Merz' wunderschöne Aufnahmen der Toskana;
sie lässt aber den für die Thematik so wichtigen Realismus fast
gänzlich ausser Acht. Giochi d'estate ist ein veritabler
Problemfilm, der sich von Katastrophe zu Katastrophe hangelt – in
regelmässigen Abständen von zehn bis fünfzehn Minuten – und den
Zuschauer so aufs Schamloseste manipuliert.
Kindheitserfahrungen: Nic (Armando Condolucci) kommt während der
Sommerferien der hübschen Marie immer näher.
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Endgültig Schiffbruch erleidet der Film schliesslich aufgrund seiner
Figurenzeichnung. Die im Mittelpunkt stehenden Kinder sind am
Reissbrett entstandene Ideen ohne einen Funken Wiedererkennungswert.
In vergleichbaren Filmen glaubt man wenigstens, ähnliche Leute in
der eigenen Kindheit gekannt zu haben; hier jedoch agieren
12-Jährige, deren "Sommerspiele" einem in ihrer vollkommen
unnötigen Boshaftigkeit fremd bleiben. Insbesondere Nics Verhalten
erinnert nicht an das eines etwas zu direkten Kindes, sondern an das
eines angehenden Psychopathen. So werden andere Unstimmigkeiten wie
Vincenzos abruptes, ohne Grautöne auskommendes Wechselspiel zwischen
fürsorglichem Vater und prügelndem Monster, oder die Tatsache, dass
am Ende des Films keine signifikanten Charakterentwicklungen
stattgefunden haben, schon fast zu einer Randnotiz.
Giochi
d'estate ist ein seltsamer Film, der in vielerlei Hinsicht einfach
die falschen Töne trifft – vor allem in Sachen Figuren und
Storyaufbau. Ein realer Italienurlaub scheint wie eine probate
Alternative.
★★½
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