2006 schloss der finnische Kino-Minimalist Aki Kaurismäki mit Laitakaupungin valot (Lights in the Dusk) seine "Verlierer-Trilogie" ab. Jetzt kehrt er triumphal zurück: Le
Havre ist ein stiller, lakonischer und trotz allem hoffnungsvoller
Film, der unverkennbar Kaurismäkis Handschrift trägt.
Als Aki Kaurismäki 1994 nach vierjährigem Aufenthalt in Portugal
ins heimische Finnland zurückkehrte, schwor er sich, seine Filme nur
noch in seinem Heimatland zu drehen. Diesen Vorsatz konnte er 17
Jahre lang halten, bevor er ihn nun mit Le Havre brach. Die
Entscheidung ist nachvollziehbar: Der Film ist ein, so der Regisseur,
Autor und Produzent Kaurismäki, "unrealistischer" Beitrag zum
Thema der afrikanischen Einwanderung nach Europa – der beste
jüngerer Zeit –, welche die Finnen bekanntermassen nur marginal
betrifft. Doch unter Kaurismäkis Regie und mit Kameramann Timo
Salminens Auge wird selbst das nordfranzösische Le Havre zu einem
Setting, das dem Helsinki aus Kauas pilvet karkaavat (Drifting
Clouds) oder Laitakaupungin valot verblüffend ähnelt.
Der Fokus von Le Havre liegt aber nicht auf der Stadt, sondern
auf den illustren Figuren, von denen sie, das Fischerviertel im
Speziellen (wie viele Schauplätze im Œuvre des Regisseurs im Stil
der Fünfzigerjahre gehalten), bewohnt wird. So auch Marcel Marx
(André Wilms), Ex-Autor, Schuhputzer, Bohémien und Weiterführung
einer Figur aus Kaurismäkis La vie de bohème (1992), der dort
mit seiner kranken Frau Arletty (die Französisch radebrechende Kati
Outinen in ihrem elften Kaurismäki-Film) ein kleines Häuschen
bewohnt. Als aus einem Flüchtlingscontainer ein illegaler Immigrant
aus Gabun, ein Junge namens Idrissa (Blondin Miguel), entkommt, nimmt
Marcel diesen bei sich auf. Doch der melancholische Kommissar Monet
(Jean-Pierre Darroussin) ist Idrissa auf den Fersen.
Neue Herausforderung für den Bohème: Marcel Marx (André Wilms)
nimmt sich des afrikanischen Flüchtlings Idrissa (Blondin Miguel)
an.
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Kaurismäkis Filme sind seit jeher Geschmackssache. Action, Dramatik,
Tempo – Fehlanzeige! Vielmehr kreiert der Autor in seinen – nur
selten über 90-minütigen – Werken faszinierende Mikrouniversen;
kleine Welten, die von kleinen Leuten, denen das klassisch "Heldenhafte" völlig abgeht, bevölkert werden. Auch wirken
diese Figuren häufig, als warteten sie auf etwas, dessen exakter
Natur sie sich nicht einmal selbst richtig sicher sind – Samuel
Becketts En attendant Godot lässt grüssen. Le Havre
bildet da keine Ausnahme. Nicht nur begeistert die gewohnt
feinfühlige Charakterzeichnung; der Film strahlt auch eine Ruhe aus,
die kaum je gestört wird; die Dialoge sind knapp und gemächlich
gehalten; die Story schlendert betulich voran und keine der Figuren
lässt sich je zu einem Gefühlsausbruch hinreissen.
Auch seine viel gerühmte Lakonik hat Kaurismäki in den fünf Jahren
Spielfilm-Drehpause nicht verlernt. Sei es ohne Worte, sei es mit
kurzen, leicht absurden Linien, der Humor, den er aus seinen
zugeknöpften Charakteren gewinnt, ist nach wie vor unvergleichlich.
Das antiklimaktische Ende wiederum ist auf seine eigene Art
wunderschön, entspricht der Selbsteinschätzung des Regisseurs ("ein
alter Mann mit weichem Herzen") und zeigt, wie jeder Film von Aki
Kaurismäki, dass Melancholie und Hoffnug untrennbar miteinander
verbunden sind. Le Havre ist eine wundervolle Ode ans Einfache
und zutiefst Menschliche.
★★★★★½
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