Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Während die Welt noch immer mit der anhaltenden Finanzkrise zu
kämpfen hat, hat sie das Kino schon als Thema entdeckt. J.C.
Chandors starbesetztes Drama Margin Call mag Wirtschaftslaien
mitunter etwas verwirren, glänzt aber mit einer knackigen
Inszenierung und einem kritischen Tonfall.
Unter "Margin Call" versteht der Finanzexperte die Warnung eines
Brokers an einen Händler, wenn eine offene Handelsposition die
sogenannte Margin zu unterschreiten droht. Alles klar? Nein? Auch
egal. Denn Regisseur und Autor J.C. Chandor hat Margin Call
nicht so konzipiert, dass man als Zuschauer sämtliche Fachbegriffe
verstehen muss, um der Handlung zu folgen. Es genügt, wenn man
begreift, dass der Risikoanalyst Peter Sullivan (Co-Produzent Zachary
Quinto) auf dem USB-Stick, den ihm der frisch entlassene Eric Dale
(Stanley Tucci) zusteckt, auf ein Finanzierungssystem stösst, das
die namenlose Investmentbank, bei der er arbeitet, in den Ruin
treiben könnte. Je höher die explosive Information weitergeleitet
wird – von Peter zu Will Emerson (Paul Bettany), weiter zu Sam
Rogers (Kevin Spacey), Jared Cohen (Simon Baker), über Sarah
Robertson (Demi Moore) bis hin zu Firmenboss John Tuld (Jeremy Irons)
– desto mehr spitzt sich die Lage zu, bis schliesslich die
Prioritätenfrage "Firma oder Weltwirtschaft?" gestellt werden
muss.
Noch lächelt der Abteilungsleiter: Sam Rogers (Kevin Spacey)
motiviert seine Arbeiter mit einer Rede.
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Margin
Call wirkt wie ein verfilmtes Theaterstück in der Tradition eines Glengarry Glen Ross, nur mit dem Unterschied, dass hier ein
Originaldrehbuch vorliegt. Der Film behandelt 24 schicksalhafte
Stunden im Jahr 2008, just am Anfang der neuen Weltwirtschaftskrise.
In diesem Zeitabschnitt findet Chandor Raum, auf verdichtete – und
teils vielleicht auch etwas gezwungene – Art und Weise die
Gefahren, Widersprüche und Ungerechtigkeiten des kapitalistischen
Systems hinzuweisen. Kritisiert werden mit scharfzüngigen Dialogen
Aspekte, die sich in der neoliberalen Wirtschaft mittlerweile schon
fast als Grundpfeiler etabliert zu haben scheinen; sei es das Prinzip
des "rationalen Egoismus" ("If you're first out the door, it's
not panic"), satte Boni oder die Allmacht der Märkte. Doch
Chandors Drehbuch interessiert sich nicht nur für die grösseren
Zusammenhänge; die persönliche Ebene des Ganzen wird extensiv
beleuchtet, wodurch eine etwas differenziertere Darstellung von
Investmentbankern und ihrer Arbeit entsteht als man sie sonst im
kollektiven Bewusstsein findet.
Auch als Regisseur zeigt Chandor Talent. Er setzt nicht auf
Effekthascherei, sondern auf eine ruhige, aber eindringliche
Atmosphäre, sodass die drohende Katastrophe stets spürbar bleibt.
Der Nachteil dieser Inszenierung ist, dass der dritte Akt so etwas zu
vage ausfällt, zu wenig nachwirkt. Es fehlt das Gefühl, das
Bewusstsein des globalen Ausmasses der Geschehnisse. Als
Trostpflaster bieten sich die erstklassigen Schauspieler an.
Insbesondere die Klassemimen Kevin Spacey und Jeremy Irons, die hier
quasi als Gegenspieler auftreten, begeistern mit ihren subtilen
Rededuellen.
Margin
Call ist ein unspektakulärer, aber nicht unwichtiger Film, dem
zum Schluss leider etwas die Konsequenz fehlt. Doch für einen
spannenden und unterhaltsamen Kinobesuch eignet sich J.C. Chandors
Erstling allemal – ob man jetzt die komplizierte Materie versteht
oder nicht.
★★★★½
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