Donnerstag, 13. Oktober 2011

Margin Call

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Während die Welt noch immer mit der anhaltenden Finanzkrise zu kämpfen hat, hat sie das Kino schon als Thema entdeckt. J.C. Chandors starbesetztes Drama Margin Call mag Wirtschaftslaien mitunter etwas verwirren, glänzt aber mit einer knackigen Inszenierung und einem kritischen Tonfall.

Unter "Margin Call" versteht der Finanzexperte die Warnung eines Brokers an einen Händler, wenn eine offene Handelsposition die sogenannte Margin zu unterschreiten droht. Alles klar? Nein? Auch egal. Denn Regisseur und Autor J.C. Chandor hat Margin Call nicht so konzipiert, dass man als Zuschauer sämtliche Fachbegriffe verstehen muss, um der Handlung zu folgen. Es genügt, wenn man begreift, dass der Risikoanalyst Peter Sullivan (Co-Produzent Zachary Quinto) auf dem USB-Stick, den ihm der frisch entlassene Eric Dale (Stanley Tucci) zusteckt, auf ein Finanzierungssystem stösst, das die namenlose Investmentbank, bei der er arbeitet, in den Ruin treiben könnte. Je höher die explosive Information weitergeleitet wird – von Peter zu Will Emerson (Paul Bettany), weiter zu Sam Rogers (Kevin Spacey), Jared Cohen (Simon Baker), über Sarah Robertson (Demi Moore) bis hin zu Firmenboss John Tuld (Jeremy Irons) – desto mehr spitzt sich die Lage zu, bis schliesslich die Prioritätenfrage "Firma oder Weltwirtschaft?" gestellt werden muss.

Noch lächelt der Abteilungsleiter: Sam Rogers (Kevin Spacey) motiviert seine Arbeiter mit einer Rede.
Margin Call wirkt wie ein verfilmtes Theaterstück in der Tradition eines Glengarry Glen Ross, nur mit dem Unterschied, dass hier ein Originaldrehbuch vorliegt. Der Film behandelt 24 schicksalhafte Stunden im Jahr 2008, just am Anfang der neuen Weltwirtschaftskrise. In diesem Zeitabschnitt findet Chandor Raum, auf verdichtete – und teils vielleicht auch etwas gezwungene – Art und Weise die Gefahren, Widersprüche und Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems hinzuweisen. Kritisiert werden mit scharfzüngigen Dialogen Aspekte, die sich in der neoliberalen Wirtschaft mittlerweile schon fast als Grundpfeiler etabliert zu haben scheinen; sei es das Prinzip des "rationalen Egoismus" ("If you're first out the door, it's not panic"), satte Boni oder die Allmacht der Märkte. Doch Chandors Drehbuch interessiert sich nicht nur für die grösseren Zusammenhänge; die persönliche Ebene des Ganzen wird extensiv beleuchtet, wodurch eine etwas differenziertere Darstellung von Investmentbankern und ihrer Arbeit entsteht als man sie sonst im kollektiven Bewusstsein findet.

Auch als Regisseur zeigt Chandor Talent. Er setzt nicht auf Effekthascherei, sondern auf eine ruhige, aber eindringliche Atmosphäre, sodass die drohende Katastrophe stets spürbar bleibt. Der Nachteil dieser Inszenierung ist, dass der dritte Akt so etwas zu vage ausfällt, zu wenig nachwirkt. Es fehlt das Gefühl, das Bewusstsein des globalen Ausmasses der Geschehnisse. Als Trostpflaster bieten sich die erstklassigen Schauspieler an. Insbesondere die Klassemimen Kevin Spacey und Jeremy Irons, die hier quasi als Gegenspieler auftreten, begeistern mit ihren subtilen Rededuellen.

Margin Call ist ein unspektakulärer, aber nicht unwichtiger Film, dem zum Schluss leider etwas die Konsequenz fehlt. Doch für einen spannenden und unterhaltsamen Kinobesuch eignet sich J.C. Chandors Erstling allemal – ob man jetzt die komplizierte Materie versteht oder nicht.

★★★★½

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