Donnerstag, 24. November 2011

Melancholia

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Mit seinen jüngsten kontroversen Äusserungen hat der Däne Lars von Trier einmal mehr sich selber brillant in Szene gesetzt. Entsprechend gross ist das Interesse an seinem neuen Film. In Melancholia bietet er eine persönliche, bildstarke und perfekt stilisierte Weltuntergangsgeschichte.

Zweifel über den Ausgang von Melancholia räumt Regisseur und Autor von Trier schon in der Anfangsviertelstunde aus: In einem langen, von extremen Zeitlupenaufnahmen geprägten Prolog wird in beeindruckenden Bildern das Ende der Welt fast schon schwelgerisch inszeniert. Der gigantische Planet Melancholia bewegt sich auf die Erde zu und räumt sie mühelos aus dem Weg. Was folgt, sind zwei Charakterstudien. Der erste Teil ist der zum Scheitern verdammten Vermählung (zu deren Gästen auch Schauspielgrössen wie John Hurt, Charlotte Rampling und Jesper Christensen gehören) der depressiven Justine (Kirsten Dunst) mit dem hilflosen Michael (Alexander Skarsgård) gewidmet, der zweite beschäftigt sich mit den Ängsten von Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) angesichts des nur scheinbar gefahrlosen Vorbeiziehens des neu entdeckten, titelgebenden Himmelskörpers.

Wie schon der viele Zuschauer schockierende Antichrist aus dem Jahr 2009 ist auch Melancholia ein Versuch Lars von Triers, seine sporadisch auftretenden Depressionen filmisch zu verarbeiten. Anders als in seinem letzten Film aber sieht er hier von allzu ekelerregenden Szenen ab und bemüht sich, das Innenleben seiner Charaktere auf subtilere Art und Weise sichtbar zu machen. Dies kommt dem Kinoerlebnis tatsächlich zugute und fördert auch die Bereitschaft, über Sinn und Zweck des Ganzen zu reflektieren. So fällt etwa auf, dass Justine und Claire elegant als psychologische Negative konzipiert wurden; während erstere ob der drohenden Apokalypse ihre für sie nun sinnlos gewordene Angst vor dem Leben überwinden kann, verfällt ihre Schwester in an Depression grenzende Panik. Der nahende Planet wiederum scheint in seiner Rolle als interstellare "Abrissbirne" ein Symbol für die das Leben erstickende Melancholie zu sein.

Die depressive Braut Justine (Kirsten Dunst) tanzt mit ihrem Vater (John Hurt). Noch ahnt niemand etwas vom drohenden Unheil aus dem All.
Doch von Trier hat nicht nur die Präsentation des Subtexts seit Antichrist verbessert, auch seine Regie ist behutsamer geworden. Zwar setzt er immer noch auf eine etwas zu verwackelte Kamera, doch dafür glänzt sein Opus in Sachen Erzählfluss – auch wenn sich der zweite Teil etwas in die Länge zieht – und Schauspielführung. Sein grösstes Verdienst aber ist die hervorragende Konstruktion von Atmosphäre. Über dem ganzen Film hängt ein Gefühl des kurz bevorstehenden Unheils, verstärkt durch das Präludium von Richard Wagners "Tristan und Isolde" als musikalisches Leitmotiv, welches bei der finalen Zerstörung fortissimo aus den Lautsprechern donnert.

Lars von Trier liefert auch mit seinem neuen Werk keine einfache Kost. Es mag zugänglicher – und besser – sein als mancher andere Film des Regisseurs, aber die Gefahr, frustriert zu werden, besteht dennoch. Melancholia ist in vielen Punkten klassisches Arthouse-Kino und wird den einen Zuschauer begeistern, während er dem anderen nichts als Mühe bereitet. Wer sich einer cineastischen Herausforderung stellen will, dem sei es ans Herz gelegt, den Gang ins Kino anzutreten. Eines steht fest: Ästhetischer ist die Welt noch nie untergegangen.

★★★★½

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