Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Mit seinen jüngsten kontroversen Äusserungen hat der Däne Lars von
Trier einmal mehr sich selber brillant in Szene gesetzt. Entsprechend
gross ist das Interesse an seinem neuen Film. In Melancholia
bietet er eine persönliche, bildstarke und perfekt stilisierte
Weltuntergangsgeschichte.
Zweifel über den Ausgang von Melancholia räumt Regisseur und
Autor von Trier schon in der Anfangsviertelstunde aus: In einem
langen, von extremen Zeitlupenaufnahmen geprägten Prolog wird in
beeindruckenden Bildern das Ende der Welt fast schon schwelgerisch
inszeniert. Der gigantische Planet Melancholia bewegt sich auf die
Erde zu und räumt sie mühelos aus dem Weg. Was folgt, sind zwei
Charakterstudien. Der erste Teil ist der zum Scheitern verdammten
Vermählung (zu deren Gästen auch Schauspielgrössen wie John Hurt,
Charlotte Rampling und Jesper Christensen gehören) der depressiven
Justine (Kirsten Dunst) mit dem hilflosen Michael (Alexander
Skarsgård) gewidmet, der zweite beschäftigt sich mit den Ängsten
von Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) angesichts des
nur scheinbar gefahrlosen Vorbeiziehens des neu entdeckten,
titelgebenden Himmelskörpers.
Wie schon der viele Zuschauer schockierende Antichrist aus dem
Jahr 2009 ist auch Melancholia ein Versuch Lars von Triers,
seine sporadisch auftretenden Depressionen filmisch zu verarbeiten.
Anders als in seinem letzten Film aber sieht er hier von allzu
ekelerregenden Szenen ab und bemüht sich, das Innenleben seiner
Charaktere auf subtilere Art und Weise sichtbar zu machen. Dies kommt
dem Kinoerlebnis tatsächlich zugute und fördert auch die
Bereitschaft, über Sinn und Zweck des Ganzen zu reflektieren. So
fällt etwa auf, dass Justine und Claire elegant als psychologische
Negative konzipiert wurden; während erstere ob der drohenden
Apokalypse ihre für sie nun sinnlos gewordene Angst vor dem Leben
überwinden kann, verfällt ihre Schwester in an Depression grenzende
Panik. Der nahende Planet wiederum scheint in seiner Rolle als
interstellare "Abrissbirne" ein Symbol für die das Leben
erstickende Melancholie zu sein.
Die depressive Braut Justine (Kirsten Dunst) tanzt mit ihrem Vater
(John Hurt). Noch ahnt niemand etwas vom drohenden Unheil aus dem
All.
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Doch von Trier hat nicht nur die Präsentation des Subtexts seit Antichrist verbessert, auch seine Regie ist behutsamer
geworden. Zwar setzt er immer noch auf eine etwas zu verwackelte
Kamera, doch dafür glänzt sein Opus in Sachen Erzählfluss – auch
wenn sich der zweite Teil etwas in die Länge zieht – und
Schauspielführung. Sein grösstes Verdienst aber ist die
hervorragende Konstruktion von Atmosphäre. Über dem ganzen Film
hängt ein Gefühl des kurz bevorstehenden Unheils, verstärkt durch
das Präludium von Richard Wagners "Tristan und Isolde" als
musikalisches Leitmotiv, welches bei der finalen Zerstörung
fortissimo aus den Lautsprechern donnert.
Lars von Trier liefert auch mit seinem neuen Werk keine einfache
Kost. Es mag zugänglicher – und besser – sein als mancher andere
Film des Regisseurs, aber die Gefahr, frustriert zu werden, besteht
dennoch. Melancholia ist in vielen Punkten klassisches
Arthouse-Kino und wird den einen Zuschauer begeistern, während er
dem anderen nichts als Mühe bereitet. Wer sich einer cineastischen
Herausforderung stellen will, dem sei es ans Herz gelegt, den Gang
ins Kino anzutreten. Eines steht fest: Ästhetischer ist die Welt
noch nie untergegangen.
★★★★½
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