Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Eine Romanze zu drehen, in der eine Krebskrankheit eine tragende
Rolle spielt, ist heikel, da die Sache schnell ins allzu Kitschige
abrutschen kann. Dass dies aber nicht immer der Fall sein muss, zeigt
Gus Van Sant in Restless, einer hinreissenden Liebeskomödie
mit leisen capraesken Anklängen.
Der Teenager Enoch (Henry Hopper) ist der Aussenseiter schlechthin.
Seit seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen und er drei
Monate im Koma lag, will sein Leben nicht mehr richtig funktionieren.
Zur Schule geht er nicht mehr; die Beziehung mit seiner Ersatzmutter,
seiner Tante, ist gespannt; und Freunde hat er sowieso keine mehr.
Einzig der "Geist" eines japanischen Kamikazepiloten, Hiroshi
(Ryo Kase), leistet ihm Gesellschaft. Eines von Enochs wenigen Hobbys
ist das Besuchen von Beerdigungen fremder Leute. An einer solchen
trifft er die an einem Hirntumor erkrankte Annabel (Mia Wasikowska),
die ihn mit ihrer Lebensfreude und ihrer Liebe zur Natur (und Charles
Darwin) anzustecken versucht.
Wer im Juni dieses Jahres Submarine von Richard Ayoade im Kino
gesehen hat, wird unweigerlich diverse Parallelen zu Restless feststellen. Tatsächlich scheint Gus Van Sant in seinem neuen
Indie-Film dem Briten Ayoade in seiner verqueren Darstellung
jugendlichen Aussenseitertums nachzueifern. Überhaupt wurde dem Film
allgemein vorgeworfen, nichts anderes als ein fantasieloser Abklatsch
von Arthur Hillers Love Story für den jungen Erwachsenen des
21. Jahrhunderts zu sein. Ja, die Geschichte um eine durch Krankheit
intensivierte Beziehung sowie das Credo, dass der Tod die Lebenden um
ein Vielfaches härter trifft als die Sterbenden, erfinden das Rad
nicht neu. Aber dass Innovation auch innerhalb eines bekannten
Schemas möglich ist, ist beileibe kein Geheimnis.
Liebe, bevor es zu spät ist: Die krebskranke Annabel (Mia
Wasikowska) tröstet ihren neu gefundenen Freund Enoch (Henry
Hopper).
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Allein schon mit Enoch und Annabel haben Van Sant und Autor Jason Lew
ein hervorragendes Protagonistenpaar kreiert, welches ebenso
sympathisch wie ungewöhnlich ist. Das Paar entzückt mit herrlich
exzentrischen, aber dennoch nicht gänzlich unrealistischen
Gesprächen und Unternehmungen. Zudem hat es Lew auch sehr gut
verstanden, die eigentlich todtraurige Geschichte sorgfältig mit
Humor auszustatten. So finden Enoch und Annie die Romantik im
Makabren ("You can't just 'seppuku' yourself on my deathbed!")
und im Lakonischen ("How are you?" – "Same old, same old,
still dying"). Dass dies nicht geschmacklos wirkt, sondern den Film
herzerwärmend und romantisch macht, ist sicherlich auch Henry Hopper
und Mia Wasikowska, die hier mit ihrer Kurzhaarfrisur etwas an Jean
Seberg erinnert, zu verdanken; die Chemie zwischen den beiden stimmt
perfekt. Sie sind auch einer der Gründe, warum man Restless
die vereinzelten Stellen, an denen er sich dem Kitschigen nähert,
nur zu gerne verzeiht. Ein anderer ist der Umstand, dass selbst in
diesen Momenten die Ehrlichkeit und die Anmut der zentralen
Liebesgeschichte über die etwaige Rührseligkeit triumphiert, ganz
im Stile der Romanzen eines Frank Capra (Mr. Smith Goes to
Washington, It's a Wonderful Life) – "capracorny"
eben.
Gus Van Sant präsentiert einen feinfühligen, warmen und
melancholischen Film, der für einen kalten grauen Herbsttag bestens
geeignet ist. Denn obwohl hier der Tod im Mittelpunkt steht, ist Restless vor allem eines: ein Aufsteller.
★★★★★☆
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