Donnerstag, 15. Dezember 2011

Habemus Papam

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Der Papst ist das geistige Oberhaupt von einer Milliarde Menschen. Dass diese Verantwortung auch eine Last sein kann, scheint eigentlich logisch. Den passenden Film dazu liefert Nanni Moretti: Habemus Papam ist eine feinfühlige Tragikomödie mit einem fantastischen Hauptdarsteller.

Der Papst ist tot. Auf dem Petersplatz finden sich Tausende von Menschen ein; einige gedenken des verstorbenen Heiligen Vaters, einige warten auf den neuen Stellvertreter Christi, und einige wollen einfach dabei sein. Innerhalb der vatikanischen Mauern nimmt das Konklave derweil seinen Lauf. Die Kardinäle setzen sich in der Sixtinischen Kapelle zusammen, um einen neuen Pontifex zu wählen. Nach einigen ergebnislosen Wahlgängen einigen sie sich schliesslich auf Melville (Michel Piccoli), der sogleich eingekleidet und zum Balkon des Petersdoms geführt wird. Bevor er sich aber an die Gläubigen wendet, gerät der arme Mann in Panik und weigert sich, sein Amt anzunehmen. Die Angstgefühle legen sich auch nach mehreren Stunden nicht, also kontaktiert der Pressesprecher des heiligen Stuhls den Psychiater Brezzi (Nanni Moretti). Doch die Depressionen eines Mannes wie Melville, der nun unter Dauerbeobachtung steht, lassen sich auf die Schnelle kaum erfolgreich behandeln.

Der Vatikan zeigt sich von Nanni Morettis neuem Film alles andere als begeistert. Habemus Papam vergreife sich am unberührbaren Papst und beleidige zudem noch die christliche Religion an sich, heisst es. Vorwürfe, die nicht nur in ihrer Härte übertrieben sind, sondern auch komplett am Ziel vorbeischiessen. Moretti will weder den Katholizismus angreifen, noch dessen Führungsfigur der Lächerlichkeit preisgeben. Seine "Sünde", wenn man so will, scheint einzig und allein darin zu bestehen, der Kirche ein menschliches Antlitz zu verleihen, die Mauer aus "erstarrten Dogmen und leeren Ritualen" (Baruch Spinoza) wenn schon nicht einzureissen, so doch wenigstens ironisch zu beleuchten.

Ungewöhnliches Treffen: Der Psychiater Brezzi (Nanni Moretti) soll den neugewählten Papst (Michel Piccoli) dazu bringen, sein Amt anzutreten.
Dieses Anliegen kommt vor allem in der brillanten Anfangsviertelstunde sowie dem Handlungsstrang, bei dem der atheistische Brezzi und die naiven Kardinäle im Mittelpunkt stehen, zum Tragen. Moretti treibt seine Spässe mit den katholischen Traditionen – etwa wenn die Kleriker ihre getragene Prozession unterbrechen müssen, weil sich der Vorsänger verhaspelt – und der kleinen menschlichen Schwächen seiner Figuren. So wird beim Konklave beim Pultnachbarn abgeschrieben und in den Privatgemächern wird genüsslich geraucht. Primär ist Habemus Papam jedoch eine sanfte Charakterstudie Melvilles (benannt nach dem französischen Meisterregisseur Jean-Pierre Melville), der vom 85-jährigen Starmimen Michel Piccoli überragend gespielt wird. Sein Papst wider Willen ist keine Witzfigur, sondern ein sanftmütiger älterer Herr, immer noch tief gläubig zwar, aber der mit der ihm aufgebürdeten Aufgabe schlicht überfordert ist. Seine Flucht aus dem Vatikan wird für ihn zur Selbstfindung und -überwindung, was in ein ebenso stimmiges wie konsequentes Ende mündet.

Nanni Morettis Film ist gleichermassen eine vergnügliche Dramödie und ein elegantes Porträt eines vom Leben überwältigten Mannes. Kirchenkritikern wird Habemus Papam zu harmlos sein, Kirchenvertretern zu forsch. Doch das kann den Freunden gehobener italienischer Kinounterhaltung ja egal sein.

★★★★★☆

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