Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Der Papst ist das geistige Oberhaupt von einer Milliarde Menschen.
Dass diese Verantwortung auch eine Last sein kann, scheint eigentlich
logisch. Den passenden Film dazu liefert Nanni Moretti: Habemus
Papam ist eine feinfühlige Tragikomödie mit einem fantastischen
Hauptdarsteller.
Der Papst ist tot. Auf dem Petersplatz finden sich Tausende von
Menschen ein; einige gedenken des verstorbenen Heiligen Vaters,
einige warten auf den neuen Stellvertreter Christi, und einige wollen
einfach dabei sein. Innerhalb der vatikanischen Mauern nimmt das
Konklave derweil seinen Lauf. Die Kardinäle setzen sich in der
Sixtinischen Kapelle zusammen, um einen neuen Pontifex zu wählen.
Nach einigen ergebnislosen Wahlgängen einigen sie sich schliesslich
auf Melville (Michel Piccoli), der sogleich eingekleidet und zum
Balkon des Petersdoms geführt wird. Bevor er sich aber an die
Gläubigen wendet, gerät der arme Mann in Panik und weigert sich,
sein Amt anzunehmen. Die Angstgefühle legen sich auch nach mehreren
Stunden nicht, also kontaktiert der Pressesprecher des heiligen
Stuhls den Psychiater Brezzi (Nanni Moretti). Doch die Depressionen
eines Mannes wie Melville, der nun unter Dauerbeobachtung steht,
lassen sich auf die Schnelle kaum erfolgreich behandeln.
Der Vatikan zeigt sich von Nanni Morettis neuem Film alles andere als
begeistert. Habemus Papam vergreife sich am unberührbaren
Papst und beleidige zudem noch die christliche Religion an sich,
heisst es. Vorwürfe, die nicht nur in ihrer Härte übertrieben
sind, sondern auch komplett am Ziel vorbeischiessen. Moretti will
weder den Katholizismus angreifen, noch dessen Führungsfigur der
Lächerlichkeit preisgeben. Seine "Sünde", wenn man so will,
scheint einzig und allein darin zu bestehen, der Kirche ein
menschliches Antlitz zu verleihen, die Mauer aus "erstarrten Dogmen
und leeren Ritualen" (Baruch Spinoza) wenn schon nicht
einzureissen, so doch wenigstens ironisch zu beleuchten.
Ungewöhnliches Treffen: Der Psychiater Brezzi (Nanni Moretti) soll
den neugewählten Papst (Michel Piccoli) dazu bringen, sein Amt
anzutreten.
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Dieses Anliegen kommt vor allem in der brillanten
Anfangsviertelstunde sowie dem Handlungsstrang, bei dem der
atheistische Brezzi und die naiven Kardinäle im Mittelpunkt stehen,
zum Tragen. Moretti treibt seine Spässe mit den katholischen
Traditionen – etwa wenn die Kleriker ihre getragene Prozession
unterbrechen müssen, weil sich der Vorsänger verhaspelt – und der
kleinen menschlichen Schwächen seiner Figuren. So wird beim Konklave
beim Pultnachbarn abgeschrieben und in den Privatgemächern wird
genüsslich geraucht. Primär ist Habemus Papam jedoch eine
sanfte Charakterstudie Melvilles (benannt nach dem französischen
Meisterregisseur Jean-Pierre Melville), der vom 85-jährigen
Starmimen Michel Piccoli überragend gespielt wird. Sein Papst wider
Willen ist keine Witzfigur, sondern ein sanftmütiger älterer Herr,
immer noch tief gläubig zwar, aber der mit der ihm aufgebürdeten
Aufgabe schlicht überfordert ist. Seine Flucht aus dem Vatikan wird
für ihn zur Selbstfindung und -überwindung, was in ein ebenso
stimmiges wie konsequentes Ende mündet.
Nanni Morettis Film ist gleichermassen eine vergnügliche Dramödie
und ein elegantes Porträt eines vom Leben überwältigten Mannes.
Kirchenkritikern wird Habemus Papam zu harmlos sein,
Kirchenvertretern zu forsch. Doch das kann den Freunden gehobener
italienischer Kinounterhaltung ja egal sein.
★★★★★☆
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