Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Die Geschichten um die Südstaaten-Lausebengel Tom Sawyer und
Huckleberry Finn von Mark Twain wissen immer wieder neue Generationen
von Kindern zu begeistern – auch im Kino. Die neueste Adaption,
Hermine Huntgeburths Tom Sawyer, ist bekömmliche Massenware.
Wir schreiben die 1840er Jahre. Im idyllischen St. Petersburg,
Missouri, gelegen am majestätischen Mississippi, lebt der kleine Tom
(Louis Hoffmann) mit seinem strebsamen, aber etwas verfressenen
Halbbruder Sid und seiner alleinstehenden Tante Polly (Heike
Makatsch). Tom ist vielen Bewohnern ein Dorn im Auge, da er immerzu
lügt und betrügt, seinen gestrengen Lehrer nicht respektiert und
sich in seiner Freizeit mit dem verwahrlosten Huck Finn (Leon Seidel)
herumtreibt und allerlei Unfug anstellt. Einzig die schöne Becky
bringt den aufsässigen Tom in Verlegenheit. Als er und Huck bei
einem ihrer Abenteuer beobachten, wie der Halbblut-Indianer Joe
(Benno Fürmann) einen Mord begeht und ihn dem harmlosen Trunkenbold
Muff Potter (Joachim Król) anhängt, ist es vorbei mit der
Gemütlichkeit. Denn wenn sie für Muff, der gehängt werden soll,
aussagen, werden sie Joe nicht entkommen können.
Etwas, was in Tom Sawyer sofort ins Auge sticht, ist die Angst
der Produzenten, Mark Twain nicht gerecht zu werden. Twain, vom
grossen William Faulkner zurecht als "Vater der amerikanischen
Literatur" gepriesen, trägt als Literat ein dermassen grosses
Gewicht, dass eine allzu gravierende Veränderung des Stoffs schnell
als Entehrung angesehen werden könnte (was gewisse amerikanische
Interessengruppen aber nicht daran hindert, das – bei Twain
ironisch gebrauchte – "N-Wort" aus neu aufgelegten Werken zu
verbannen). Huntgeburth und ihre Autoren Sascha Arango und Peer
Klehmet bieten eine sehr werkgetreue Verfilmung, deren grösste
Abweichung vom Originalwerk Tante Pollys Alter und das etwas
kindgerechtere Ende von "Injun Joe" darstellen. Entsprechend
wirkt der Film angenehm altmodisch, auch weil, abgesehen vom
fürchterlichen Rap im Abspann, auf Stilbrüche wie populärkulturelle
Anspielungen, die mittlerweile – oftmals zum Leidwesen des
Zuschauers – zur Grundausstattung von Kinderfilmen zu gehören
scheinen, verzichtet wird.
Unten am Fluss: Tom Sawyer (Louis Hoffmann, rechts) und Huckleberry
Finn (Leon Seidel) begeben sich am Mississippi auf so manches
Abenteuer.
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Dennoch ist der Film in einigen Punkten einfach zu künstlich. Ein
Musterbeispiel dafür ist etwa der Drehort: Die europäischen
Schauplätze sowie das Studio mögen als Ersatz für den Staat
Missouri in den meisten Szenen zwar ausreichen, auch dank der
stimmigen Ausstattung, doch diese Illusion wird durch die immer
wiederkehrenden Panoramaaufnahmen einer Landschaft, die sich
definitiv nicht im Süden der USA befindet, wieder zerstört. Auch
schauspielerisch mangelt es dem Film an Natürlichkeit. Louis
Hoffmann und Leon Seidel vermögen ihren Figuren keinerlei Leben
einzuhauchen; vielmehr agieren sie wie zwei Kinder, die sich auf
einer Kostümparty als Tom und Huck verkleiden. Da freut man sich
über jeden vergnüglichen Auftritt des sympathischen Joachim Król
und des ungehemmt chargierenden Benno Fürmann.
Kinder werden sicher ihre helle Freude an Tom Sawyer haben. Als
Erwachsener sieht man einen bunten, harmlosen, aber grundsätzlich
amüsanten Film, dessen cineastischer Wert zwar vernachlässigbar
ist, die jüngste Generation aber vielleicht dazu bewegt, sich einmal
in Mark Twains Romanvorlage zu vertiefen.
★★★☆☆☆
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