Donnerstag, 1. Dezember 2011

Tom Sawyer

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Die Geschichten um die Südstaaten-Lausebengel Tom Sawyer und Huckleberry Finn von Mark Twain wissen immer wieder neue Generationen von Kindern zu begeistern – auch im Kino. Die neueste Adaption, Hermine Huntgeburths Tom Sawyer, ist bekömmliche Massenware.

Wir schreiben die 1840er Jahre. Im idyllischen St. Petersburg, Missouri, gelegen am majestätischen Mississippi, lebt der kleine Tom (Louis Hoffmann) mit seinem strebsamen, aber etwas verfressenen Halbbruder Sid und seiner alleinstehenden Tante Polly (Heike Makatsch). Tom ist vielen Bewohnern ein Dorn im Auge, da er immerzu lügt und betrügt, seinen gestrengen Lehrer nicht respektiert und sich in seiner Freizeit mit dem verwahrlosten Huck Finn (Leon Seidel) herumtreibt und allerlei Unfug anstellt. Einzig die schöne Becky bringt den aufsässigen Tom in Verlegenheit. Als er und Huck bei einem ihrer Abenteuer beobachten, wie der Halbblut-Indianer Joe (Benno Fürmann) einen Mord begeht und ihn dem harmlosen Trunkenbold Muff Potter (Joachim Król) anhängt, ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Denn wenn sie für Muff, der gehängt werden soll, aussagen, werden sie Joe nicht entkommen können.

Etwas, was in Tom Sawyer sofort ins Auge sticht, ist die Angst der Produzenten, Mark Twain nicht gerecht zu werden. Twain, vom grossen William Faulkner zurecht als "Vater der amerikanischen Literatur" gepriesen, trägt als Literat ein dermassen grosses Gewicht, dass eine allzu gravierende Veränderung des Stoffs schnell als Entehrung angesehen werden könnte (was gewisse amerikanische Interessengruppen aber nicht daran hindert, das – bei Twain ironisch gebrauchte – "N-Wort" aus neu aufgelegten Werken zu verbannen). Huntgeburth und ihre Autoren Sascha Arango und Peer Klehmet bieten eine sehr werkgetreue Verfilmung, deren grösste Abweichung vom Originalwerk Tante Pollys Alter und das etwas kindgerechtere Ende von "Injun Joe" darstellen. Entsprechend wirkt der Film angenehm altmodisch, auch weil, abgesehen vom fürchterlichen Rap im Abspann, auf Stilbrüche wie populärkulturelle Anspielungen, die mittlerweile – oftmals zum Leidwesen des Zuschauers – zur Grundausstattung von Kinderfilmen zu gehören scheinen, verzichtet wird.

Unten am Fluss: Tom Sawyer (Louis Hoffmann, rechts) und Huckleberry Finn (Leon Seidel) begeben sich am Mississippi auf so manches Abenteuer.
Dennoch ist der Film in einigen Punkten einfach zu künstlich. Ein Musterbeispiel dafür ist etwa der Drehort: Die europäischen Schauplätze sowie das Studio mögen als Ersatz für den Staat Missouri in den meisten Szenen zwar ausreichen, auch dank der stimmigen Ausstattung, doch diese Illusion wird durch die immer wiederkehrenden Panoramaaufnahmen einer Landschaft, die sich definitiv nicht im Süden der USA befindet, wieder zerstört. Auch schauspielerisch mangelt es dem Film an Natürlichkeit. Louis Hoffmann und Leon Seidel vermögen ihren Figuren keinerlei Leben einzuhauchen; vielmehr agieren sie wie zwei Kinder, die sich auf einer Kostümparty als Tom und Huck verkleiden. Da freut man sich über jeden vergnüglichen Auftritt des sympathischen Joachim Król und des ungehemmt chargierenden Benno Fürmann.

Kinder werden sicher ihre helle Freude an Tom Sawyer haben. Als Erwachsener sieht man einen bunten, harmlosen, aber grundsätzlich amüsanten Film, dessen cineastischer Wert zwar vernachlässigbar ist, die jüngste Generation aber vielleicht dazu bewegt, sich einmal in Mark Twains Romanvorlage zu vertiefen.

★★★

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