Donnerstag, 12. Januar 2012

Drive

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Wer denkt, ein Film, in dem Autos eine wichtige Rolle spielen, kann nicht mehr als ein krachiges Actionvehikel Marke Hollywood sein, wird beim achten Film des Dänen Nicolas Winding Refn eine Überraschung erleben. Drive ist schlicht und ergreifend grossartiges Kino.

Zuerst hört man nur seine Stimme. 100'000 Strassen gebe es in Los Angeles, sagt der namenlose Protagonist (Ryan Gosling), und er fände immer die passende Route, was man ihm nach der Pre-Credit-Sequenz auch ohne weiteres glaubt. Am Steuer eines Autos, wo er Robert De Niros Rolle in Taxi Driver evoziert, ist der geheimnisvolle Einzelgänger ein Naturtalent. Sein Geld verdient er mit Stuntfahrten für Filmdrehs, Fluchtfahrten für Kriminelle sowie Autoreparaturen für seinen väterlichen Freund Shannon (Bryan Cranston). Eine neue Einnahmequelle wäre das Fahren von Rennautos, doch dazu muss Shannon erst den Geschäftsmann Bernie Rose (Albert Brooks) dazu überreden, einen anständigen Wagen zu bezahlen. Derweil freundet sich der schweigsame "Driver" mit seiner Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und deren Sohn Benicio an. Als Irenes Mann Standard (Oscar Isaac) aus dem Gefängnis entlassen wird, wird er von Gangstern bedroht, woraufhin Driver seine Hilfe anbietet – nicht ahnend, dass er sich damit auf einen Höllentrip einlässt.

Eastwood'scher "Lone Man": Der Fahrer (Ryan Gosling, rechts) setzt sich gegen skrupellose Gangster zur Wehr.
Es steht ausser Frage, dass Regisseur Refn und Drehbuchautor Hossein Amini mit ihrer Romanadaption ein ganz besonderes Stück Film geschaffen haben. Schon von Anfang an wird klar, dass Drive mehr als ein Fliessband-Actionfilm ist. Es finden sich zwar einige spärlich eingesetzte Actionszenen, welche brillant gemacht sind und nie zum Selbstzweck verkommen, doch die Inszenierung zeichnet sich vor allem durch ihre Ruhe aus; die Einstellungen sind lang, die Dialoge der wortkargen Hauptfigur von Pausen durchsetzt. Zudem lässt Refn in seiner Erzählung, deren Spannungsbogen hervorragend konstruiert ist, auch Elementen wie Melancholie und bittersüsser Romantik ihren Raum. Insofern erinnert Drive, obwohl er stets ein eigenständiges Werk bleibt, an die Filme Don Siegels, Clint Eastwoods, Sam Peckinpahs oder John Fords. Ähnliche Assoziationen ergeben sich ob der Ausbrüche kompromissloser Gewalt, die besonders im zweiten Teil vermehrt auftreten. Nichts wird glorifiziert oder verherrlicht, vielmehr wirkt die entfesselte Härte dieser Szenen (Stichwort: Lift) eher abstossend, was mit der Technik Peckinpahs oder auch der eines Martin Scorsese vergleichbar ist.

Doch Drive ist nicht nur genial gemacht und konstruiert, sondern auch exzellent gespielt. Allen voran begeistert Ryan Gosling mit seiner unaufgeregten, subtilen, intensiven und äusserst vielschichtigen Darbietung als Inkarnation der sanftstimmigen, tragischen, manchmal ebenfalls namenlosen Figuren am Rande des Gesetztes, ganz in der Tradition von Eastwoods "Dirty" Harry Callahan oder seinem Man with No Name der Western Sergio Leones sowie Alain Delons Jef Costello in Jean-Pierre Melvilles Le samouraï. Nicht minder überzeuegnd sind Albert Brooks, Carey Mulligan und Bryan Cranston.

Es fällt schwer, Refns neuem Film verbal gerecht zu werden, schon deshalb, weil er sich kaum einordnen lässt. Drive ist, kurz gesagt, ein packendes und fesselndes Meisterwerk nach klassischer "körperlicher" Hollywood-Machart.

★★★★★★

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