Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Wer denkt, ein Film, in dem Autos eine wichtige Rolle spielen, kann
nicht mehr als ein krachiges Actionvehikel Marke Hollywood sein, wird
beim achten Film des Dänen Nicolas Winding Refn eine Überraschung
erleben. Drive ist schlicht und ergreifend grossartiges Kino.
Zuerst hört man nur seine Stimme. 100'000 Strassen gebe es in Los
Angeles, sagt der namenlose Protagonist (Ryan Gosling), und er fände
immer die passende Route, was man ihm nach der Pre-Credit-Sequenz
auch ohne weiteres glaubt. Am Steuer eines Autos, wo er Robert De
Niros Rolle in Taxi Driver evoziert, ist der geheimnisvolle
Einzelgänger ein Naturtalent. Sein Geld verdient er mit Stuntfahrten
für Filmdrehs, Fluchtfahrten für Kriminelle sowie Autoreparaturen
für seinen väterlichen Freund Shannon (Bryan Cranston). Eine neue
Einnahmequelle wäre das Fahren von Rennautos, doch dazu muss Shannon
erst den Geschäftsmann Bernie Rose (Albert Brooks) dazu überreden,
einen anständigen Wagen zu bezahlen. Derweil freundet sich der
schweigsame "Driver" mit seiner Nachbarin Irene (Carey Mulligan)
und deren Sohn Benicio an. Als Irenes Mann Standard (Oscar Isaac) aus
dem Gefängnis entlassen wird, wird er von Gangstern bedroht,
woraufhin Driver seine Hilfe anbietet – nicht ahnend, dass er sich
damit auf einen Höllentrip einlässt.
Eastwood'scher "Lone Man": Der Fahrer (Ryan Gosling, rechts)
setzt sich gegen skrupellose Gangster zur Wehr.
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Es steht ausser Frage, dass Regisseur Refn und Drehbuchautor Hossein
Amini mit ihrer Romanadaption ein ganz besonderes Stück Film
geschaffen haben. Schon von Anfang an wird klar, dass Drive
mehr als ein Fliessband-Actionfilm ist. Es finden sich zwar einige
spärlich eingesetzte Actionszenen, welche brillant gemacht sind und
nie zum Selbstzweck verkommen, doch die Inszenierung zeichnet sich
vor allem durch ihre Ruhe aus; die Einstellungen sind lang, die
Dialoge der wortkargen Hauptfigur von Pausen durchsetzt. Zudem lässt
Refn in seiner Erzählung, deren Spannungsbogen hervorragend
konstruiert ist, auch Elementen wie Melancholie und bittersüsser
Romantik ihren Raum. Insofern erinnert Drive, obwohl er stets
ein eigenständiges Werk bleibt, an die Filme Don Siegels, Clint
Eastwoods, Sam Peckinpahs oder John Fords. Ähnliche Assoziationen
ergeben sich ob der Ausbrüche kompromissloser Gewalt, die besonders
im zweiten Teil vermehrt auftreten. Nichts wird glorifiziert oder
verherrlicht, vielmehr wirkt die entfesselte Härte dieser Szenen
(Stichwort: Lift) eher abstossend, was mit der Technik Peckinpahs
oder auch der eines Martin Scorsese vergleichbar ist.
Doch Drive ist nicht nur genial gemacht und konstruiert,
sondern auch exzellent gespielt. Allen voran begeistert Ryan Gosling
mit seiner unaufgeregten, subtilen, intensiven und äusserst
vielschichtigen Darbietung als Inkarnation der sanftstimmigen,
tragischen, manchmal ebenfalls namenlosen Figuren am Rande des
Gesetztes, ganz in der Tradition von Eastwoods "Dirty" Harry
Callahan oder seinem Man with No Name der Western Sergio Leones sowie
Alain Delons Jef Costello in Jean-Pierre Melvilles Le samouraï.
Nicht minder überzeuegnd sind Albert Brooks, Carey Mulligan und
Bryan Cranston.
Es fällt schwer, Refns neuem Film verbal gerecht zu werden, schon
deshalb, weil er sich kaum einordnen lässt. Drive ist, kurz
gesagt, ein packendes und fesselndes Meisterwerk nach klassischer "körperlicher" Hollywood-Machart.
★★★★★★
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