Kurz
nach dem Kinostart von Finchers nunmehr neuntem Film war vor allem
ein Element davon in aller Munde. Ausgerechnet in einer Zeit, in
welcher der gute alte Titelvorspann mehr und mehr verschwindet,
schafft es eine derartige "Credit Sequence", die Massen zu
beeindrucken und zu begeistern. Unterlegt mit Led Zeppelins
"Immigrant Song" in der Industrial-Version von Trent Reznor
und Atticus Ross (Oscar für The
Social Network)
mit der stimmlichen Unterstützung von Yeah-Yeah-Yeahs-Sängerin
Karen O, wird in den ersten zwei Minuten auf intensivste Art und
Weise eine eigene kleine Geschichte von Technologie, Gefangensein und
Rache erzählt. Kein Zweifel, die Titelsequenz von The
Girl with the Dragon Tattoo
ist eine kreative Meisterleistung und macht sich das Stilmittel
hervorragend zu eigen. Dass dies bei Fincher nichts Neues ist, ist
wohlbekannt, zählt der aus dem Hirn seines Protagonisten
herauszoomende Anfang von Fight
Club doch
zu den berühmtesten Vorspännen der jüngeren Kinogeschichte. Der
diesbezüglich fundamentale Unterschied zwischen den beiden
Buchverfilmungen liegt allerdings darin, dass bei der
Palahniuk-Adaption ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen Credits
und Story besteht; hier wirkt das Ganze eher wie Selbstzweck.
Natürlich ist das Ganze stilsicher, mitreissend und cool aufgezogen,
doch dabei kommt der Bezug zu Larssons Krimi etwas abhanden.
Der Plot desselben
wurde, abgesehen von einer Änderung am Schluss, treu übernommen.
Der schwedische Enthüllungsjournalist und Mitinhaber des
"Millennium"-Magazins Mikael Blomkvist (Daniel Craig) wurde
von einem seiner Opfer erfolgreich auf 600'000 Kronen verklagt.
Resultat: Ruf dahin, Feindbild von Presse und Industrie. Zu seiner
Überraschung jedoch bittet ihn der legendäre Magnat Henrik Vanger
(Christopher Plummer), dessen Geschäfte Schweden zum Sprung in die
Moderne verhalfen, zu sich. Vanger will, dass Mikael sich des Falls
seiner Nichte Harriet annimmt, die 1966 spurlos verschwunden ist und,
nach Vangers Vermutung, von einem Familienmitglied ermordet wurde. Im
Zuge seiner Ermittlungen wird Mikael immer mehr mit den dunklen
Geheimnissen der Industriellenfamilie vertraut, zu denen Alt-Nazis,
berüchtigte Trunkenbolde und mutmassliche Triebtäter gehör(t)en.
Hilfe erhält der bald schon überforderte Journalist von der Person,
die ihn auf Bitten von Vangers Anwalt Dirch Frode (Steven Berkoff)
ausspioniert hat: der soziopathischen Hackerin Lisbeth Salander
(Rooney Mara), die ihrerseits mit ihrem perversen staatlichen
Vormund, dem Anwalt Nils Bjurman (Yorick van Wageningen), zu kämpfen
hat.
Henrik Vanger (Christopher Plummer, links) führt Mikael Blomkvist (Daniel Craig) in seinen Auftrag ein. |
Je
nach Quellenmaterial tendieren Werke aus David Finchers Filmografie
zu Längen von über 130 Minuten (Fight
Club,
Zodiac,
The
Curious Case of Benjamin Button),
die man ihnen allerdings kaum je anmerkt. Dies ist auch beim knapp
160-minütigen The
Girl with the Dragon Tattoo
der Fall, welcher kurzweiligste Thriller-Unterhaltung bietet; das
Ganze ist spannend genug aufgezogen – Kompliment an Autor Steven
Zaillian –, sodass die zweieinhalb Stunden wie im Flug vergehen.
Als Zuschauer hat man sogar das Gefühl, nicht das erste Mal bei
diesem Regisseur, ewig weiterschauen zu können. Tatsächlich wäre
eine längere Laufzeit dem Projekt gut bekommen. Dass der Film von
drei Studen heruntergekürzt wurde, macht sich besonders in der
ersten halben Stunde bemerkbar. Der erste Akt wird viel zu schnell
abgewickelt, die kaum je länger als fünf Sekunden dauernden
Einstellungen sorgen für eine für Kirk Baxters und Angus Walls
Schnitt ungewohnte Nervosität, mit der in die Geschichte eingeführt
wird. Doch auch das Ende des fesselnden, über weite Strecken
unaufgeregten, aber äusserst dichten Films stellt eine Antiklimax
zum Rest dar. Im Epilog verzettelt sich Zaillian plötzlich, sodass
der zuvor stringente Plot auf einmal auszufransen beginnt und den
vorangegangenen 135 Minuten ein wenig die Durchschlagskraft raubt –
eine Kraft, die The
Girl with the Dragon Tattoo als
Ganzem etwas abzugehen scheint, was ihn auch weniger eindringlich
macht als Fincher-Meisterstücke wie Se7en,
Fight
Club oder
The
Social Network.
Ansonsten
aber gefällt die Larsson-Vefilmung und ist weit davon entfernt zu
enttäuschen. Die packende, spannungsreiche Inszenierung wird von
technischen und schauspielerischen Höchstleistungen ergänzt. So
übertrifft sich Jeff Cronenweth mit seiner Kameraarbeit wieder
einmal selbst, während das Duo Reznor/Ross das Geschehen, passend
zur expliziten Gewaltdarstellung, mit einem roheren, martialischeren,
weniger geschliffenen Score als man es in Finchers letztem Film
gehört hat, musikalisch begleitet. Vor der Kamera gefällt Daniel
Craig als unsicherer Möchtegern-Wallander Blomkvist; Christopher
Plummer begeistert nach seiner grossartigen, mehrfach ausgezeichneten
Darbietung als spät geouteter Homosexueller in Mike Mills' Beginners
auch als jovialer Henrik Vanger; und Stellan Skarsgård wandelt in
der Rolle von Henriks Neffen Martin erfolgreich auf dem schmalen Grat
zwischen sympathisch und unheimlich. Wer aber am stärksten in
Erinnerung bleibt, ist Rooney Mara als Lisbeth Salander. Mara, die
schon in der brillanten Eingangssequenz von The
Social Network
als Mark Zuckerbergs Noch-Freundin mit ihrer Bestimmtheit bestach,
hatte von allen Akteuren die schwierigste Aufgabe, da sie die als
Salander zur Ikone gewordene Noomi Rapace ersetzen musste. Sie ist um
einiges zierlicher und mädchenhafter als Rapace; entsprechend ist
auch ihre Lisbeth eine andere als die der 32-jährigen Schwedin. Mara
konzentiert sich weniger auf die gepiercte und tätowierte Rächerin,
sondern mehr auf die dahinter verborgene Soziopathin, die sich den
Fängen der Staatsgewalt zu entziehen versucht. Mit dieser
Akzentuierung des Tragischen ist Mara Rapace mindestens ebenbürtig.
Lisbeth Salander (Rooney Mara) kümmert sich um den verletzten Mikael. |
Die
Meinungen der Kritiker zu The
Girl with the Dragon Tattoo sind
geteilt. Einige sehen in ihm ein fast fehlerloses Meisterwerk, andere
ärgern sich über ein bestenfalls fantasiearmes, schlimmstenfalls
langweiliges Remake. Beides sind extreme Ansichten, die
wahrscheinlich daher rühren, dass der Film, die Adaption eines der
am meisten verkauften Bücher der letzten Jahre, verschiedenste
Erwartungen schürte. Was einem Fan Stieg Larssons zusagt, kann einem
Anhänger David Finchers leicht zuwider sein. Tatsache ist, dass der
neue Film des im vergangenen Jahr von der Academy zu Unrecht
verschmähten Filmemachers in vielen Bereichen auftrumpfen kann –
Kamera, Schauspiel, Musik, Schnitt, Spannungsbogen –, aber nicht,
wie diverse andere Werke des Regisseurs, restlos begeistern kann. Im
grossen Zusammenhang von Finchers Œuvre wird The
Girl with the Dragon Tattoo,
ähnlich wie etwa Zodiac,
wohl nicht als Klassiker in Erinnerung bleiben. Für sich allein aber
ist der düstere Krimithriller zweifelsohne ein unterhaltsames, einen
Kinobesuch lohnendes Stück Film.
★★★★½
★★★★½
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