Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Innert zwei Monaten avancierte die Komödie Intouchables zu
einem der erfolgreichsten französischen Filme aller Zeiten –
völlig zurecht. Auf wahre Begebenheiten gestützt, wird eine
einfühlsame und zugleich urkomische Geschichte zweier ungleicher
Freunde erzählt.
Bürokratie ist ein komplizierter, irrationaler Albtraum. Diese
Erfahrung muss auch Driss (Omar Sy), ein junger Mann aus der Pariser
Banlieue, machen. Der gut dreissigjährige Senegalese kommt gerade
aus dem Gefängnis und möchte Arbeitslosengeld beantragen. Schön
und gut, doch dazu muss er erst einmal beweisen, dass er nach einem
Beruf sucht; drei Absagen trennen ihn von seinem "Glück". Also
bewirbt er sich – der negativen Rückmeldung willen – beim seit
einem Gleitschirmunfall an den Rollstuhl gefesselten Adligen Philippe
(François Cluzet), der in seinem Hauptstadt-Anwesen von Helfern
umgeben ist und einen neuen persönlichen Pfleger sucht. Wider
Erwarten wird Driss eingestellt und residiert fortan in der
luxuriösen Villa und kümmert sich, wenn anfangs auch reichlich
ungeschickt, um den vornehmen Philippe.
Die Inspiration für Intouchables fanden die Regisseure und
Autoren Olivier Nakache und Éric Toledano in einer 2004 produzierten
Dokumentation über den reichen Paraplegiker Philippe Pozzo di Borgo
und dessen nordafrikanischen Pfleger Abdel Sellou. Als Ersterer um
die Rechte gebeten wurde, gab er sein Einverständnis, allerdings
unter einer Bedingung: Der Film darf kein Mitleid erregen. Nakache
und Toledano nahmen es sich zu Herzen und beschenkten Pozzo di Borgo,
Sellou und den Rest der Welt mit einer hinreissenden Tragikomödie,
zu der wohl nur Franzosen in dieser Form fähig gewesen wären.
Ansteckende Lebensfreude: Der Immigrant Driss (Omar Sy) und der
gelähmte Adlige Philippe (François Cluzet) freunden sich immer mehr
an.
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Intouchables
ist nicht Le scaphandre et le papillon, keine Abhandlung über
den Körper, der für Gelähmte zum Gefängnis wird. Es ist ein
scharfsinniges Lustspiel, welchem das Kunststück gelingt, die
Balance zwischen unerhörtem, und damit unglaublich lustigem,
Sarkasmus und glaubwürdiger und bewegender Charakterdarstellung zu
halten. Auch driftet das Ganze nie ins Plakative ab; die Witze –
seien sie nun über "Telethon-Behinderte", wie Driss sie nennt,
gelähmte Nazis ("Non! Absolument pas! Nein!") oder moderne Kunst
– werden nicht ausgeschlachtet und sind, in gewissen Fällen,
dermassen subtil, dass sie der Zuschauer selber entdecken muss –
eine Tugend, die im heutigen Komödienkino nicht selbstverständlich
ist. Ein Grossteil dieses fantastischen Humors rührt von der uralten
Formel von "Straight Man" und "Funny Guy", dem Dummen August
und dem weissen Clown. Filme, die sich dieses Konzepts bedienen,
stehen und fallen mit der Qualität ihres Drehbuchs und ihres
Hauptdarstellerduos. Intouchables bekundet auch in letzterem
Fall keinerlei Probleme. François Cluzet und Omar Sy verkörpern
ihre jeweiligen Rollen nahezu perfekt; Driss' ungehobelte Art ergänzt
Philippes gediegene Melancholie ideal.
Politische Interpretationen des Films liessen von Seiten der Kritik
nicht lange auf sich warten. Doch Vorwürfe des Rassismus oder des
Missachtens der Banlieue-Problematik sind total unangebracht. Im
Zentrum steht eine ebenso ungewöhnliche wie ergreifende und enorm
erheiternde Freundschaft. Und was meinte der vom Nacken herab
gelähmte Philippe Pozzo di Borgo dazu? "Ich applaudiere mit beiden
Händen."
★★★★★½
dem kann ich nur zustimmen.
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