Mittwoch, 25. Januar 2012

King of Devil's Island

1896 wurde auf der norwegischen Insel Bastøy, knapp 50 Kilometer südlich von Oslo im Oslofjord gelegen, eine Zuchtanstalt für schwererziehbare Jugendliche errichtet, welche bis 1970 in Betrieb war. In seinem sechsten Film widmet sich Marius Holst (Dragonfly, Cross My Heart and Hope to Die) diesem dunklen Kapitel der jüngeren norwegischen Sozialgeschichte. Kongen av Bastøy, so der Originaltitel, ist naturalistisches Erzählkino alter skandinavischer Schule.

"Du hast es gut hier, hier ist es besser als im Gefängnis", pflegt Anstaltsleiter Bestyrer (Stellan Skarsgård) bei Gesprächen mit seinen Schützlingen zu sagen. Einer davon ist Neuankömmling Erling (Benjamin Helstad), der im Jahre 1915 auf der Insel einsitzt – angeblich wegen Mordes – und resozialisiert werden soll. Fortan heisst er C19 und verbringt seine Tage im Bastøyer C-Block mit harter Arbeit. Sein Schicksal teilen unter anderen der fragile Ivar (Magnus Langlete) und der Musterhäftling Olav (Trond Nilssen), der schon seit sechs Jahren auf der Insel lebt und bald in die Gesellschaft zurückkehren kann. Da er aber als Blockleiter für den immer wieder rebellierenden Erling verantwortlich ist, droht ihm Bestyrer mit dem Entzug dieser Chance. Derweil missbraucht der Aufseher Bråthen (Kristoffer Joner) Ivar sexuell, was diesen in den Selbstmord treibt und die ohnehin gereizte Stimmung unter den Jungdelinquenten vollends eskalieren lässt.

Das auf eine reiche, bis zu den Anfängen des Mediums zurückreichende Tradition aufgebaute Kino Nordeuropas hat über die Jahre hinweg eine ganz eigene Ästhetik des Kargen entwickelt. Dieser hat sich auch Marius Holst in King of Devil's Island verschrieben. Zwar erinnert die titelgebende Insel selbst etwas an das kafkaeske Setting von Martin Scorseses unterbewertetem Psychothriller Shutter Island; ansonsten aber evoziert die von Autor Dennis Magnusson und Regisseur Holst sehr effektiv konstruierte Geschichte von unzähligen Beschwernissen, denen die Gefangenen ausgesetzt sind, Jan Troells epischen Zweiteiler The Emigrants / The New Land (Utvandrarna und Nybyggarna) oder Bille Augusts Pelle the Conqueror (Pelle Erobreren). Mit äusserster Schlichtheit – bei den ungemein atmosphärischen Bildern von Kameramann John Andreas Andersen herrschen Weiss-, Blau- und Grautöne vor – wird der Arbeitsalltag auf Bastøy geschildert, womit auch der Zuschauer nach und nach mit den Mechanismen der Anstalt vertraut wird.

Es ist Holst überdies hoch anzurechnen, dass er es nicht für nötig hielt, seinem Film die für Gefängnisdramen üblichen Klischees aufzuzwängen. Diese hätten sich vor allem in der zweiten Hälfte, in welcher sich die Angelegenheit enorm verdichtet, angeboten. Doch auch der aufkeimende Widerstand gegen das Regime von Bestyrer und insbesondere Bråthen besticht durch seinen Naturalismus, seinen Verzicht auf Überdramatisierung und falschen Heroismus. Als das Pulverfass Bastøy schlussendlich explodiert, ist der Wunsch nach Freiheit nur der sekundäre Wunsch der Aufrührer. Zuerst soll die brutale Rache, deren Inszenierung dem Aufstand der Soldaten in Akira Kurosawas Throne of Blood nicht unähnlich ist, am herrischen, aber letztlich auch psychisch kranken Bråthen erfolgen.

Die Wut der auf Bastøy festgehaltenen Jugendlichen eskaliert.
Es überrascht dementsprechend nicht, dass von den Schauspielern vor allem der starke Kristoffer Joner im Gedächtnis hängenbleibt. Seine Figur ist zutiefst hassenswert, ohne Frage, ist aber dennoch kein unrealistisches Monster in Menschenverkleidung. Nicht nur in den Insassen des Jugendheims spiegelt sich die "Teufelsinsel" wider; auch Bråthen ist die Qual, seit Jahren auf einer kalten, einsamen Insel festzusitzen, fernab jeglicher Zivilisation und beruflicher Aufstiegsmöglichkeiten, anzusehen. Doch die Kollegen Joners wissen in ihren Rollen ebenso zu gefallen. Auch Benjamin Helstads Erling, dessen Hintergrund auf Ishmael aus Herman Melvilles Moby Dick anspielt, ist ein dreidimensionaler Charakter, der mit guten wie schlechten Eigenschaften ausgestattet ist. Helstad spielt ihn mit all seiner jugendlichen Naivität und Aggression famos. Und Stellan Skarsgård glänzt wieder einmal in seiner Paraderolle als ambivalenter, fast schon Shakespeare'scher Nebenantagonist.

Filme über Gefängnisse und Gefängnisaufstände gibt es viele. Insofern betritt King of Devil's Island kein Neuland. Doch Marius Holst ist es gelungen, das Genre mit einem packenden, sorgfältig inszenierten und von düsterem Naturalismus geprägten Eintrag zu bereichern.

★★★★★

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