Beneiden kann man
Iiris (Kati Outinen, Kaurismäkis Lieblingsschauspielerin) wirklich
nicht. Sie geht einer langweiligen Arbeit in einer Streichholzfabrik
nach, wo sie eine der wenigen menschlichen Teile der Produktion ist;
sie wohnt in einer trostlosen Wohnung in einem freudlosen Quartier
Helsinkis, die sie mit ihrer Mutter (Elina Salo) und ihrem Stiefvater
(Esko Nikkari) gegen Miete teilt – obwohl sie selbst für
Unterhalt, Kochen, Putzen und Waschen aufkommen muss –; und wenn
sie abends ausgeht, hat keiner der Männer Augen für sie. Doch eines
Tages, der Langeweile und Eintönigkeit überdrüssig, gibt sie ihr
Geld für ein schönes Kleid aus und landet prompt mit einem Mann
(Vase Vierikko) im Bett. Dieser will aber nach der gemeinsamen Nacht
nichts mehr von Iiris wissen. Also beschliesst das Mauerblümchen,
zum Racheengel zu mutieren zu nehmen.
Iiris (Kati Outinen, links) mit ihrer Familie. |
Klassische
Heldenrollen sucht man in den Filmen Aki Kaurismäkis vergebens.
Vielmehr fasziniert ihn das Einfache, das quasi Unsichtbare, die im
Alltäglichen steckende Skurrilität. Viele seiner Akteure verbringen
einen schönen Teil ihres Lebens in Kneipen oder Bistros, rauchen,
trinken Bier und lassen hin und wieder einen kurzen Dialogfetzen
fallen. Und doch verliebt man sich in diese Charaktere, da sie einen
einerseits mit ihrer ureigenen Art zum Lachen bringen und da sie
einem andererseits in ihrer Unvollkommenheit durchaus vertraut
vorkommen. So verzichtet Kaurismäki denn auch häufig auf klar
umrissene oder wenigstens ausgeprägte Antagonisten; ist im
wunderbaren La vie de bohème noch die staatliche Willkür ein
Feindbild, wenn auch ein relatives, ist ein solches im 59-minütigen
Take Care of Your Scarf, Tatiana, einem melancholischen
urbanen Märchen, nur sehr schwer auszumachen. In The Match
Factory Girl finden sich zwar Antagonisten – der sich der
Verantwortung entziehende reiche "Liebhaber", die
antriebslosen, stetig mit leeren Augen fernsehenden Eltern –, doch
diese stehen letztlich in keinem grossen Gegensatz zur Hauptfigur, da
Iiris durch ihre Erlebnisse selber zu einer unredlichen Person, und
damit zu einer echten Antiheldin, einer Femme fatale aus dem klassischen Film Noir, wird. Sie, die geschlagene
Arbeiterin, wird, ganz im Einklang mit der "proletarischen
Trilogie", in gewisser Weise zum Symbol ihrer sozialen Klasse,
welche sich ohne grosses moralisches Dilemma an ihren Unterdrückern
rächt. Diese Wandlung wird in einen hervorragenden Schlussakt, der
gleichermassen lakonisch wie schwarzhumorig ist, verpackt.
Kaurismäkis
Minimalismus – vergleichbar allenfalls mit der cineastischen
Philosophie eines Robert Bresson oder Jim Jarmusch – äussert sich
auch in anderen Punkten, etwa in Timo Salminens grossartiger,
spartanischer Kameraarbeit, welche alles aufs absolute Notwendige
reduziert. Die Kamera, immer auf Augenhöhe, ist starr, bewegt sich
nur in Ausnahmefällen. Ebenso zeichneten sich Kaurismäkis Filme
noch nie durch lange, eloquente Dialoge aus – ein Projekt wie Juha,
ein Stummfilm, fügt sich da nahtlos ein – und The Match Factory
Girl bleibt dem Schema treu. Wenn geredet wird, dann praktisch
nur in den ausschliesslich Katastropen gewidmeten Fernsehnachrichten,
welche sich Iiris' Eltern in einer Endlosschlaufe anzusehen scheinen.
Dialoge, wenn sie denn stattfinden, beschränken sich weitgehend auf
Einzeiler, die manchmal nicht einmal erwidert werden. Daraus entsteht
die für Kaurismäki so typische Atmosphäre der Einsam- und
Trostlosigkeit, die Entfremdung der Figuren ist greifbar. Dies ist
teils auch Kati Outinens Iiris zu verdanken, welche sich von ihrer
Umwelt im Grunde genommen kaum abhebt; wie alle anderen liefert auch
sie sich ein Starrduell mit der Kamera. Doch am Ende ist es nur sie,
welcher der Ausbruch aus dem den Ostblock evozierenden Helsinki
gelingt. Nach klassischen Massstäben ist das Ende von The Match
Factory Girl kein fröhliches, doch beim knorrigen Finnen auf dem
Regiestuhl herrschen eben andere Gesetze und ein zwar konsequentes,
wenngleich ambivalentes Ende wird zum Silberstreifen, zur etwas
verqueren Erlösung.
Iiris nach der gemeinsamen Nacht mit dem reichen Fremden. |
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Tulitikkutehtaan tyttö als einen der besten Filme seines
Regisseurs auf – wer könnte es ihnen verdenken? Mit wenigen
filmischen Extravaganzen und noch weniger Dialog wird hier, wie so
oft bei Kaurismäki, ein Mikrokosmos der Verlierer, der "Have
Beens and Never Weres" erschaffen. Iiris mag keine
Sympathieträgerin wie Marcel Marx (André Wilms) in Le Havre,
Rodolfo (Matti Pellonpää) in La vie de bohème oder der
Namenlose (Markku Peltola) in The Man Without a Past sein,
doch hassen mag man sie auch nicht so recht. Wie all die anderen
unvergesslichen Charaktere in Kaurismäkis Universum ist auch sie
eine arme, verlorene Seele – Hans Christian Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern nicht unähnlich –, die, so minimalistisch und phlegmatisch
wie nur möglich, ihre Langeweile vergessen will. Und in den Händen
von Finnlands (Anti-)Starregisseur werden solche Geschichten zu
wahren cineastischen Höhepunkten.
★★★★★½
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