Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Technologie zu praktisch allem
fähig ist, was sich ein Filmemacher wünschen kann, erobert ein
nostalgischer Stummfilm aus Frankreich die Herzen von Publikum und
Kritik: The Artist ist eine sehr charmante Liebeserklärung ans
Kino.
Hollywood, 1927: Die Filmindustrie boomt, Kino reiht sich an Kino und
in jedem läuft ein Stummfilm-Epos eines grossen Studios. Der Star
der Stunde ist George Valentin (Jean Dujardin), unter Vertrag bei
Studio-Mogul Al Zimmer (John Goodman), der mit seinem Hund (der
hinreissende Uggie) die Kinogänger stets zu begeistern weiss. Einer
seiner grössten Fans ist die junge Peppy Miller (Bérénice Bejo),
die nach einer Premiere zufällig mit ihm auf ein Pressefoto gerät,
welches bald ganz Los Angeles ins Rätseln bringt. Als sich Peppy und
George auf dem Filmset wieder treffen – er als Hauptdarsteller, sie
als Statistin –, funkt es zwischen ihnen. Das Problem: Er ist
bereits verheiratet. Also gehen die beiden wieder getrennte Wege,
aber nicht für lange: Mit dem Siegeszug des Tonfilms wird Peppy zum
Star, während der am Stummfilm festhaltende George in der Versenkung
verschwindet.
Der Grund, weshalb The Artist derzeit in aller Filmfans' Munde
ist, dürfte darin liegen, dass der neue Film von Michel Hazanavicius
schon jetzt als so gut wie uneinholbarer Oscar-Favorit gehandelt
wird. Ob der Rummel verdient ist, sei dahingestellt. Tatsache ist,
dass heuer Filme im Rennen sind, welche besser, wagemutiger,
anspruchsvoller sind – The Descendants oder Midnight in
Paris etwa. Doch das kann natürlich nicht dem Film angekreidet
werden. Dieser ist eine romantische Tragikomödie, die aus
verschiedensten Versatzstücken des klassischen Hollywoodkinos
zusammengesetzt ist. Hazanavicius spielt mit der Ästhetik des
Tonfilms der Dreissiger- und Vierzigerjahre, zieht seinen Hut vor den
Musicals mit Fred Astaire und Ginger Rogers und den Choreografien von
Busby Berkeley und stellt Verbindungen zwischen seinen Figuren und
echten Stars her – etwa zwischen dem seine Filme verbrennden George
und Buster Keaton, der nach dem Tod des Stummfilms dasselbe mit
seinen tat. Dass dabei auf gesprochenen Dialog verzichtet wird und
stattdessen Zwischentitel eingesetzt werden, ist letztendlich nur das
Tüpfelchen auf dem I.
Stoff für Spekulation: Die Filmfreundin Peppy Miller (Bérénice
Bejo) trifft erstmals auf den Stummfilmstar George Valentin (Jean
Dujardin).
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Jedoch ist das Ganze keineswegs eine blosse Aneinanderreihung von
Inspirationen; The Artist erzählt vielmehr eine vergnügliche
Geschichte, welcher der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm zugrunde
liegt. Insofern kann der Film wohl am besten genossen werden, wenn
man auch die thematisch ähnlichen Sunset Boulevard und Singin' in the Rain gesehen hat. Getragen wird der Film vor
allem vom herrlich aufspielenden Jean Dujardin. Dieser hat nicht nur
das perfekt zur Ära passende Gesicht, sondern versteht sich auch
sehr gut darauf, seiner Figur ohne Stimme eine Seele zu verleihen. An
seiner Seite glänzt insbesondere der grossartig trainierte Terrier
Uggie, der seinerseits Erinnerungen an Asta aus der Thin
Man-Serie der 30er wach werden lässt.
The
Artist in eine Reihe mit Stummfilm-Klassikern wie The Birth of
a Nation oder La passion de Jeanne d'Arc zu stellen, wäre
vermessen. Hazanavicius' Film ist eine elegante und kurzweilige
Verneigung vor den Kindertagen Hollywoods und der stürmischen
Übergangsphase zwischen Stummfilm und "Talkies".
★★★★☆☆
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