Freitag, 3. Februar 2012

Cave of Forgotten Dreams

Im Dezember 1994 stiessen die französischen Speläologen Christian Hillaire, Eliette Brunel-Deschamps und Jean-Marie Chauvet an der Ardèche, nahe der berühmten Pont-d'Arc-Felsformation, auf eine prähistorische Höhle, deren Eingang seit Tausenden von Jahren verschüttet war. Im Innern des gut 500 Meter langen Komplexes fand das Trio Malereien, die vor 32'000 Jahren entstanden und damit die ältesten ihrer Art sind. Um Schimmelbildung und Abnutzung vorzubeugen – eine Massnahme, die im etwas mehr als halb so alten Lascaux lange nicht ergriffen wurde –, wurde die Höhle sogleich so präpariert, dass menschliche Füsse den Boden nicht berühren können, und anschliessend hermetisch abgeriegelt. 2010 erhielt der deutsche Filmemacher Werner Herzog vom Kulturministerium Frankreichs die Erlaubnis, sich der jährlichen Forschungsexkursion anzuschliessen, um Filmmaterial zu sammeln. Das Resultat ist die Dokumentation Cave of Forgotten Dreams, welche zwar durchaus Schwächen offenbart, diese aber allein schon mit ihrem Thema ausgleicht.

Obwohl Herzog primär als prominenter Vertreter des Neuen Deutschen Films, welchen er gemeinsam mit Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders massgeblich mitprägte, bekannt ist, stehen seinen 18 Spielfilmen, darunter zu Klassikern gewordnenen Werken wie Aguirre, der Zorn Gottes oder Fitzcarraldo, nicht weniger als 25 Dokumentarfilme gegenüber. Die beiden Genres beeinflussen sich bei Herzog traditonell gegenseitig, so auch in seinem Film über die nach Jean-Marie Chauvet benannte Ardèche-Höhle. So wird etwa mit einer für das eingesetzte 3D zu unruhigen Kamera in Cave of Forgotten Dreams eingeführt, was dem Vorspann von Nosferatu – Phantom der Nacht schon ziemlich nahe kommt. Musikalisch untermalt wird dieser Anfang von urtümlichen, archaischen Klängen, die aus der Anfangsviertelstunde von Godfrey Reggios Koyaanisqatsi stammen könnten. Die Bilder mögen nach und nach ruhiger werden, die Musik tritt in den Hintergrund, doch die Atmosphäre des Übernatürlichen bleibt vorhanden.

Einer der zahlreichen Bärenschädel aus der Chauvet-Höhle.
Als Dokumentarfilmer gibt sich Herzog nicht damit zufrieden, lediglich Fakten zu komprimieren und massentauglich zu präsentieren. Immer wieder interpretiert er das Leinwandgeschehen aus dem Off mit seiner ruhigen, ausgeglichenen Stimme. Es stellt sich nun die Frage, ob zumindest einige dieser Kommentare zwingend nötig gewesen wären. Je länger der Film dauert, desto spärlicher, dafür umso esoterischer werden Herzogs Einschübe. Während Gedankenexperimente wie die Gegenüberstellung zweier Fussabdrücke in der Höhle – einer von einem Jungen, einer von einem Wolf – einem die Problematiken urzeitgeschichtlicher Archäologie hübsch illustrieren, wirken Witze über Baywatch oder seltsame Parallelen, die zu Albino-Alligatoren, welche in einem nahen, von Wasser aus einem Atomkraftwerk angetriebenen Arboretum leben, gezogen werden, eher irritierend und unnötig manipulativ.

In dieser Hinsicht funktioniert Cave of Forgotten Dreams dann am besten, wenn der Regisseur seine Gesprächspartner, insbesondere die direkt involvierten Wissenschaftler, frei erzählen, erklären und sinnieren lässt, da dort hoch spannende Informationen über die Malereien, die Arbeitsmethoden der Forscher und die Geschichte der wohl zeremoniell gebrauchten Chauvet-Höhle zu finden sind. Leider verliert der Film darob mehrmals seine Geradlinigkeit. Vom eigentlichen Ziel – dem Zeigen des Innern und dem Veranschaulichen der magischen Wirkung des Komplexes – wird mit, zugegebenermassen interessanten, Exkursen zu jungpaläolithischen Fruchtbarkeitskulten, den Anfängen der Herstellung menschenähnlicher Skulpturen, steinzeitlichen Jagdwaffen und alternativen Arten des Aufspürens unentdeckter Höhlen vor allem in der zweiten Hälfe immer wieder abgelenkt.

Die weltberühmte Malerei der galoppierenden Pferde.
Doch letzten Endes tritt hier angesichts von Herzogs Prunkstück so gut wie alles in den Hintergrund – der unstete Fokus, die bemühten Assoziationen, die die Interviewten etwas zu stark leitenden Fragen – und man kann sogar die esoterische Schwärmerei des Regisseurs einigermassen nachvollziehen. Mit perfekt die Nischen und Ausbuchtungen der Höhlenwand unterstreichendem 3D verschlagen einem die Bilder aus der Chauvet-Grotte Sprache und Atem. Zunächst fallen einem natürlich die von Kristallen überzogenen Steine und Knochen auf, ebenso die wundervollen Stalagmit- und Stalaktitgebilde. Und diese natürliche Schönheit wird von der menschlichen – den von erstaunlicher künstlerischer Fertigkeit zeugenden Tierabbildungen – grandios ergänzt. Die vielen Arten, von denen einige mittlerweile ausgestorben sind, welche die Wände von Chauvet zieren – Riesenhirsch, Höhlenlöwe, Wollmammut, Wildpferde –, sind in die Unregelmässigkeiten der Wand integriert und weisen mehrfach überzählige Beine auf, was den Schluss zulässt, die prähistorischen Künstler bemühten sich um einen Bewegungseffekt, eine Art "Urkino" (Herzog). Schlussendlich bleibt allerdings nicht nur die tiefe Ehrfurcht gegenüber den Schöpfern dieser erstaunlichen Artefakte zurück, sondern auch die Faszination für das, was sie repräsentieren – absichtliche Hinterlassenschaften von Menschen, deren Leben sich in einer unvorstellbar weit zurückliegenden Vergangenheit abspielte.

Trotz aller Mängel, die sich Werner Herzogs neuem Film ankreiden lassen, ist er im Grunde ein Musterbeispiel für einen gelungenen Dokumentarfilm. Er ist informativ, er fasziniert, er macht neugierig und er öffnet dem Zuschauer die Augen für ein ihm bisher unbekanntes Wunder dieser Welt. Auch wenn man über unpassende Abschweifungen und allzu exzentrische Passagen hinwegsehen muss, lohnt es sich, Cave of Forgotten Dreams gesehen zu haben – und sei es nur für die transzendentalen Momente der Stille, in welchen nur die Höhlenmalereien von Chauvet zu sehen sind. Sie sind es wert.

★★★★½

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