Obwohl
Herzog primär als prominenter Vertreter des Neuen Deutschen Films,
welchen er gemeinsam mit Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders
massgeblich mitprägte, bekannt ist, stehen seinen 18 Spielfilmen,
darunter zu Klassikern gewordnenen Werken wie Aguirre,
der Zorn Gottes
oder Fitzcarraldo,
nicht weniger als 25 Dokumentarfilme gegenüber. Die beiden Genres
beeinflussen sich bei Herzog traditonell gegenseitig, so auch in
seinem Film über die nach Jean-Marie Chauvet benannte Ardèche-Höhle.
So wird etwa mit einer für das eingesetzte 3D zu unruhigen Kamera in
Cave of Forgotten
Dreams eingeführt,
was dem Vorspann von Nosferatu
– Phantom der Nacht
schon ziemlich nahe kommt. Musikalisch untermalt wird dieser Anfang
von urtümlichen, archaischen Klängen, die aus der
Anfangsviertelstunde von Godfrey Reggios Koyaanisqatsi
stammen
könnten. Die Bilder mögen nach und nach ruhiger werden, die Musik
tritt in den Hintergrund, doch die Atmosphäre des Übernatürlichen
bleibt vorhanden.
Einer der zahlreichen Bärenschädel aus der Chauvet-Höhle. |
Als
Dokumentarfilmer gibt sich Herzog nicht damit zufrieden, lediglich
Fakten zu komprimieren und massentauglich zu präsentieren. Immer
wieder interpretiert er das Leinwandgeschehen aus dem Off mit seiner
ruhigen, ausgeglichenen Stimme. Es stellt sich nun die Frage, ob
zumindest einige dieser Kommentare zwingend nötig gewesen wären. Je
länger der Film dauert, desto spärlicher, dafür umso esoterischer
werden Herzogs Einschübe. Während
Gedankenexperimente wie die Gegenüberstellung zweier Fussabdrücke
in der Höhle – einer von einem Jungen, einer von einem Wolf –
einem die Problematiken urzeitgeschichtlicher Archäologie hübsch
illustrieren, wirken Witze über Baywatch
oder
seltsame Parallelen, die zu Albino-Alligatoren, welche in einem
nahen, von Wasser aus einem Atomkraftwerk angetriebenen Arboretum
leben, gezogen werden, eher irritierend und unnötig manipulativ.
In
dieser Hinsicht funktioniert Cave
of Forgotten Dreams dann
am
besten, wenn der Regisseur seine Gesprächspartner, insbesondere die
direkt involvierten Wissenschaftler, frei erzählen, erklären und
sinnieren lässt, da dort hoch spannende Informationen über die
Malereien, die Arbeitsmethoden der Forscher und die Geschichte der
wohl zeremoniell gebrauchten Chauvet-Höhle zu finden sind. Leider
verliert der Film darob mehrmals seine Geradlinigkeit. Vom
eigentlichen Ziel – dem Zeigen des Innern und dem Veranschaulichen
der magischen Wirkung des Komplexes – wird mit, zugegebenermassen
interessanten, Exkursen zu jungpaläolithischen Fruchtbarkeitskulten,
den Anfängen der Herstellung menschenähnlicher Skulpturen,
steinzeitlichen Jagdwaffen und alternativen Arten des Aufspürens
unentdeckter Höhlen vor allem in der zweiten Hälfe immer wieder
abgelenkt.
Die weltberühmte Malerei der galoppierenden Pferde. |
Doch
letzten Endes tritt hier angesichts von Herzogs Prunkstück so gut
wie alles in den Hintergrund – der unstete Fokus, die bemühten
Assoziationen, die die Interviewten etwas zu stark leitenden Fragen –
und man kann sogar die esoterische Schwärmerei des Regisseurs
einigermassen nachvollziehen. Mit perfekt die Nischen und
Ausbuchtungen der Höhlenwand unterstreichendem 3D verschlagen einem
die Bilder aus der Chauvet-Grotte Sprache und Atem. Zunächst fallen
einem natürlich die von Kristallen überzogenen Steine und Knochen
auf, ebenso die wundervollen Stalagmit- und Stalaktitgebilde. Und
diese natürliche Schönheit wird von der menschlichen – den von
erstaunlicher künstlerischer Fertigkeit zeugenden Tierabbildungen –
grandios ergänzt. Die vielen Arten, von denen einige mittlerweile
ausgestorben sind, welche die Wände von Chauvet zieren –
Riesenhirsch, Höhlenlöwe, Wollmammut, Wildpferde –, sind in die
Unregelmässigkeiten der Wand integriert und weisen mehrfach
überzählige Beine auf, was den Schluss zulässt, die
prähistorischen Künstler bemühten sich um einen Bewegungseffekt,
eine Art "Urkino" (Herzog). Schlussendlich bleibt
allerdings nicht nur die tiefe Ehrfurcht gegenüber den Schöpfern
dieser erstaunlichen Artefakte zurück, sondern auch die Faszination
für das, was sie repräsentieren – absichtliche
Hinterlassenschaften von Menschen, deren Leben sich in einer
unvorstellbar weit zurückliegenden Vergangenheit abspielte.
Trotz
aller Mängel, die sich Werner Herzogs neuem Film
ankreiden
lassen, ist er im Grunde ein Musterbeispiel für einen gelungenen
Dokumentarfilm. Er ist informativ, er fasziniert, er macht neugierig und
er öffnet dem Zuschauer die Augen für ein ihm bisher unbekanntes
Wunder dieser Welt. Auch wenn man über unpassende Abschweifungen und
allzu exzentrische Passagen hinwegsehen muss, lohnt es sich, Cave
of Forgotten Dreams gesehen
zu haben – und sei es nur für die transzendentalen Momente der
Stille, in welchen nur die Höhlenmalereien von Chauvet zu sehen
sind. Sie sind es wert.
★★★★½
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