Ein Jahr ist vergangen, seit Thomas Schell (Tom Hanks) bei den
9/11-Terroranschlägen ums Leben kam. Während seine Frau (Sandra
Bullock) sich alle Mühe gibt, wieder ins Leben zurückzufinden, wird
ihr scheuer Sohn Oskar (Thomas Horn), der möglicherweise am
Asperger-Syndrom leidet, zunehmend verschlossener und
unberechenbarer. Als dieser sich eines Tages im Schrank seines
geliebten Vaters umsieht, entdeckt er in einem mit "Black"
beschriebenen Umschlag einen kleinen Schlüssel. Da ihn Thomas früher
immer auf Schnitzeljagden durch New York schickte – immer mit dem
Ziel, ihn dazu zu bringen, sich mit Menschen zu unterhalten –,
folgert Oskar, der Schlüssel würde dem Tod seines Vaters
irgendeinen Sinn geben. Also macht er sich auf, alle 472 in der Stadt
lebenden Blacks zu finden, wie das sich entfremdende Ehepaar Abby
(Viola Davis) und William Black (Jeffrey Wright). Auf seiner Reise
begegnet ihm auch der mysteriöse "Renter" (Max von Sydow),
der namenlose Untermieter von Oskars Grossmutter, der kein Wort
spricht und sich nur mittels Notizzetteln und auf seine Handflächen
tätowierten Wörtern – "Yes" auf der einen, "No"
auf der andern – mitteilt.
Glückliche Zeiten: Thomas Schell (Tom Hanks) mit seinem Sohn Oskar (Thomas Horn). |
Wer
sich Extremely Loud & Incredibly Close zu
Gemüte führt, wird sich selbst unweigerlich mit einigen kritischen
Fragen bezüglich der Prämisse konfrontiert sehen. Warum muss Thomas
am 11. September sterben, wenn ein Autounfall oder ein "regulärer"
Flugzeugabsturz die Geschichte nicht massgeblich verändert hätten?
Verliert der Film nicht an Realitätsbähe und
Identifikationspotential, wenn die Hauptfigur kein normaler
Zehnjähriger, sondern ein überbegabter kleiner Erwachsener, also
durch und durch ein Kunstprodukt, ist? Dies sind Fragen, die wohl nur
der Buchautor beantworten könnte, da eine werkgetreue Filmadaption
mit diesen problematischen Grundvoraussetzungen wohl oder übel
operieren muss. Diese arbeiteten Stephen Daldry und Autor Eric Roth,
der sich in Hollywood mittlerweile als Experte für ebenso
gefühlvolle wie skurrile Reisen etabliert hat – die Drehbücher zu
Forrest Gump und The
Curious Case of Benjamin Button stammen
aus seiner Feder –, jedoch sehr elegant in ihre Verfilmung ein. Der
Fokus liegt nicht auf 9/11 und die Beziehung zu Oskar ist, wenn nicht
gerade innig, immerhin stabil genug, um mit ihm letzten Endes
mitzufühlen. Auch ist es dem Film hoch anzurechnen, dass Kitsch und
Rührseligkeit – immer schon eine kleine Schwäche Roths –,
weitestgehend ausgewichen und stattdessen die emotionale Entwicklung
seines Hauptcharakters betont wird. Dies geht löblicherweise so
weit, dass die Kinderperspektive bis zum Schluss konsequent erhalten
bleibt, sodass am Ende einige Fragen unbeantwortet bleiben, was
allerdings nicht störend wirkt, sondern sich sehr harmonisch in die
Erzählung einfügt.
Dennoch
lassen Skript und Inszenierung in einigen formalen Punkten etwas zu
wünschen übrig. Roth begnügt sich allzu oft damit, sein
Quellenmaterial verbatim wiederzugeben, was zu einigen schmerzlichen
Szenen führt, in welchen die Protagonisten, insbesondere Sandra
Bullocks Linda Schell, gezwungen sind, künstliche Platitüden
herunterzubeten ("Why do you want to come in here?" –
"Because I want to tell you I love you"), die, richtig
eingesetzt, auf Papier wohl einigermassen funktionieren, gesprochen
ihre Wirkung aber verfehlen. Daldry hingegen, obwohl nicht nur ein
erfolgreicher, sondern fraglos auch enorm begabter Regisseur,
bekundet ungewohnte Probleme damit, seinem Film einen einheitlichen
dramaturgischen Rahmen zu geben. Dass etwa diverse Passagen während
der ersten Stunde, passend zu Oskars aufgewühltem Seelenzustand, in
Hochgeschwindigkeit abgespielt werden, verliert stetig an Reiz, bis
sich das Gefühl einer sich ewig wiederholenden Montagesequenz
einstellt. Dadurch entsteht eine unangenehm verkrampfte, übertrieben
ernste Atmosphäre, welche das Interesse des Zuschauers an Oskars
Schicksal zu untergraben droht.
Ein stummer Begleiter: Der namenlose "Renter" (Max von Sydow) hilft Oskar bei seiner Suche. |
Und
genau in diesen Minuten erweist sich der Auftritt der Figur des
geheimnisvollen Mieters als Retter in der Not. Kaum betritt Max von
Sydow die Leinwand, entspannt sich die ganze Angelegenheit merklich;
der Film wird lockerer; das bis dato eher lauwarme Verhältnis des
Zuschauers zum Geschehen wird intensiver. An Renter an sich liegt
dies nicht unbedingt, da auch dieser ein recht unrealistisches
Konstrukt ist; es ist vielmehr die zurückhaltend-subtile, äusserst
berührende und von feinem Witz durchsetzte Darbietung von Sydows,
welche Extremely Loud & Incredibly Close davor
bewahrt, in der eigenen Melancholie zu ertrinken. Ohne ein einziges
Wort von sich zu geben, spielt der 82-jährige Starmime aus Schweden
seine Kollegen mühelos an die Wand, obwohl diese ebenfalls
beachtliche Leistungen erbringen, besonders Viola Davis und Jeffrey
Wright. Jungschauspieler Thomas Horn wiederum, der nach seinem Sieg
in der Kinderausgabe der Spielshow Jeopardy! von
Produzent Scott Rudin angeheuert wurde, verdient sich durch die Art,
seinen altklugen Text in einem nervigen Halbflüsterton vorzutragen,
keine Sympathiepunkte, schlägt sich aber wacker für einen
14-Jährigen ohne Schauspielerfahrung.
Extremely
Loud & Incredibly Close ist
weder eine virtuose Aufarbeitung des amerikanischen 9/11-Traumas,
noch ein schamloses Ausnützen der Tragödie. Den grössten Vorwurf,
den man dem Film in dieser Hinsicht machen kann, ist der, dass er
auch gut und gerne ohne den reisserisch anmutenden Hintergrund
auskäme. Ansonsten ist Stephen Daldrys vierte Regie-Arbeit ein nicht
allzu bemerkenswertes Drama, welches vor allem dank einer
soliden Entwicklungsgeschichte und einer sensationellen Performance
Max von Sydows in guter Erinnerung bleibt.
★★★★☆☆
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