Donnerstag, 9. Februar 2012

Man on a Ledge

Einer der offensichtlichsten Unterschiede zwischen den dramaturgischen Möglichkeiten eines Theaterstückes und eines Films ist die Fähigkeit des letzteren Mediums, das örtliche Setting von einer Szene zur anderen mühelos zu ändern. Immer wieder jedoch versuchen sich Regisseure daran, eine theaterhafte Stimmung zu erzeugen, indem sie ihren Film an nur einem Schauplatz spielen lassen. Im besten Fall entstehen dabei hochkarätige Kammerspiele wie etwa Roman Polanskis Carnage oder gar Meisterwerke wie Luis Buñuels El ángel exterminador oder Sidney Lumets klassisches Gerichtsdrama 12 Angry Men. Im schlechtesten dagegen muss man als Zuschauer mit einem stümperhaft aufgezogenen Langweiler wie Asger Leths Man on a Ledge Vorlieb nehmen.

Nick Cassidy (Sam Worthington), ehemals Polizist, zurzeit wegen angeblichen Diamantenraubes auf der Flucht vor seinen alten Kollegen, bezieht unter falschem Namen ein Zimmer im 21. Stock des berühmten New Yorker Roosevelt Hotels, bestellt etwas zu essen, wischt alle von ihm berührten Oberflächen gründlich ab – abgesehen vom Fensterrahmen: ein grosses Plotloch – und steigt auf den Fenstervorsprung. Es dauert nicht lange, bis Passanten ihn entdecken, gefolgt von Polizei, Feuerwehr und Journalisten, darunter die rasende Starreporterin Suzie Morales (Kyra Sedgwick). Als NYPD-Einsatzleiter Jack Dougherty (Edward Burns) versucht, mit dem angehenden Springer zu reden, würgt dieser das Gespräch ab und verlangt nach Lydia Mercer (Elizabeth Banks), die auf Suizidfälle spezialisiert ist. Mit ihr, welche nichts von der wahren Identität ihres Gegenübers ahnt, beginnt Nick ein langes Gespräch, während im Gebäude nebenan ein Raubüberfall mit Joey (Jamie Bell) und Angie (Génesis Rodríguez) im Zentrum stattfindet, der mit dem Geschehen im Roosevelt Hotel eng verknüpft ist.

Die Qualität von Filmen mit nur einem Schauplatz hängt noch mehr als andere stark vom Können des dahinter stehenden Filmemachers ab. Es überrascht nicht, dass die mit diesem Genre verknüpften Regisseure Polanski, Lumet und Buñuel heissen, denn ohne richtige Intuition und erkennbare Vision hilft auch das beste Drehbuch wenig. Dass es sich bei Man on a Ledge erst um Asger Leths zweite Regiearbeit handelt, ist deutlich zu spüren. Seine Inszenierung und auch Pablo Fenjves' Skript sind geprägt von einer offenkundigen Unsicherheit – daran ändert auch Paul Camerons ansprechende Kameraarbeit nichts. Es ist kein klarer Rhythmus auszumachen; der Film schwankt zwischen erzähltechnischer Trägheit auf Nicks Fenstersims und uninteressanten, bei weitaus besseren Heist-Streifen abgekupferten Thriller-Momenten im begehbaren Tresor des Antagonisten (der verschwendete, aber durch sein Chargieren einigermassen unterhaltsame Ed Harris), welche mit peinlich prominenten Aufnahmen von Génesis Rodríguez' Oberweite "aufgepeppt" werden. Auch das sporadische Aufflackern von Action vermag den dramaturgischen Leerlauf des Films nicht zu brechen, entweder weil der Ausgang dieser Szenen schon feststeht – etwa in einer uninspirierten Rückblende fünf Minuten nach Filmgebinn – oder weil das Prinzip von "Suspension of Disbelief" ein wenig zu stark ausgereizt wird – sehr schön illustriert durch den völlig idiotischen Clou, bei dem jeglicher Realismus bachab geht.

Am Abgrund: Der verzweifelte Nick (Sam Worthington) und die Psychologin Lydia (Elizabeth Banks).
Es gestaltet sich auch schwierig, sich eine Identifikationsfigur zu suchen. Neil Cassidy, der diese Rolle eigentlich übernehmen müsste, fehlt es an Tiefe und einer überzeugenden, feiner ausgearbeiteten Hintergrundgeschichte. Dazu passt letztlich auch Sam Worthingtons blutleere Performance, die zu keinem Zeitpunkt das Gefühl vermittelt, es stehe für die Figur etwas auf dem Spiel. Diejenigen Protagonisten, mit denen man zumindest eine Spur mitfühlen kann, werden vom Drehbuch leider ziemlich schäbig behandelt; so wird die traumatisierte Lydia Mercer, welche im letzten Akt, der in disneyartigen Kitsch mündet, plötzlich zum zweidimensionalen "Romantic Interest", während Nicks Ex-Partner und Freund Mike, gespielt von Anthony Mackie (The Hurt Locker, Night Catches Us), sang- und klanglos von der Bildfläche verschwindet.

Und obwohl sich Man on a Ledge als kerniger Thriller präsentiert, hielten es die Macher offenbar für nötig, sich an humoristischen Momenten zu versuchen. Diese beschränken sich auf Slapstick und Wortgeplänkel zwischen Joey und Angie, wobei immerhin die eine oder andere gute Zeile aufblitzt, und Seitenhiebe auf die Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts. Doch was Fenjves wie Sozialkritik erschienen sein muss, ist grösstenteils kindische Pseudo-Satire, die sich in primitiven, Kamerahandys schwenkenden Gaffern, zynischen Polizisten und eitlen und skrupellosen Journalisten erschöpft. Das ist keine ironische Überzeichnung mehr, sondern bemühtes Ausschlachten billiger kulturpessimistischer Stereotypen, wie man sie seit Gregory Hoblits lächerlichem Internetthriller Untraceable kaum unglaubwürdiger gesehen hat.

Die Diamantenräuber Joey (Jamie Bell) und Angie (Génesis Rodríguez).
Asger Leths zweiter Film krankt an einer beträchtlichen Anzahl von Dingen: schmerzhaften Komödieneinschlägen, farblosen Charakteren, einem allzu liberalen Umgang mit den Gesetzen der Physik und mittelmässiger Action. Diese Probleme tragen zwar allesamt ihren Teil zum Scheitern des Projektes Man on a Ledge bei, aber letzten Endes bringt es keines davon endgültig zu Fall. Diese Rolle ist dem Umstand vorbehalten, dass der Film furchtbar langweilig ist. Ohne diese cineastische Todsünde hätte man vielleicht sogar über alles andere hinwegsehen können, wie man es mittlerweile bei manchem Actionthriller tun muss – welch traurige Erkenntnis.

★★½

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