Im südwestenglischen Devon kommt zu Beginn der 1910er Jahre ein
Fohlen zur Welt. Mit dabei bei der Geburt ist der Teenager Albert
Narracott (Jeremy Irvine), der vom Neugeborenen sogleich fasziniert
ist, dessen Annäherungsversuche aber von der Mutter des Tieres immer
wieder gestört werden. Als das junge Vollblut später versteigert
wird, bietet Alberts Vater, der arme Bauer Ted (Peter Mullan),
energisch mit, nur um seinen Pächter (David Thewlis) zu
übertrumpfen. Das Prachtspferd geht in den Besitz der Narracotts
über, die aber eher auf einen kräftigen Ackergaul angewiesen wären.
Albert übernimmt die Verantwortung dafür, seinen Schützling, den
er Joey "tauft", innert eines Monats zu zähmen und ihn zum
Pflügen zu bringen – andernfalls bringt seine Mutter (Emily
Watson) Joey zu seinen ursprünglichen Besitzern zurück. Zwar
gelingt dem Jungen nach einigen Mühen die Zähmung, doch ein
Unwetter zerstört die Ernte der Narracotts. Da kommt dem vor lauter
Geldnot verzweifelnden Ted der Ausbruch des Ersten Weltkrieges gerade
recht: Er verkauft das Pferd an die britische Armee, wo es beim
sympathischen Captain Nicholls (Tom Hiddleston) landet. Dieser gerät
unter der Führung seines Vorgesetzten und Freundes, Major Jamie
Stewart (der wie gewohnt erstklassige Benedict Cumberbatch), bei
einem Angriff auf ein deutsches Heerlager in Frankreich in einen
Hinterhalt und stirbt; Stewart wird gefangen genommen. Joey und
Topthorn, das Pferd des Majors, werden derweil von den Deutschen
eingefangen und begeben sich auf eine vierjährige Odyssee durch das
kriegsgeschundene Europa.
Zuhause auf dem Hof: Noch sind Albert (Jeremy Irvine) und Joey glücklich vereint. |
Nach
diversen Filmen über den Zweiten Weltkrieg – Empire of
the Sun, Schindler's
List, Saving Private
Ryan – wandte sich Spielberg
in War Horse nun
erstmals dem Ersten, dem "grossen Verlustkrieg" zu, dem
brutalen Ende des imperialistischen Zeitalters. Doch anders als in
den früheren Werken liegt hier der Fokus nicht auf Personen, die
aufgrund des Krieges eine Veränderung durchmachen; die einzige
Konstante, dem Quellenmaterial entsprechend, ist Joey, der mit seinem
Kameraden Topthorn im 20-Minuten-Takt den Besitzer wechselt. Selbst
Albert, die eigentliche menschliche Hauptfigur verschwindet während
des ausgedehnten zweiten Aktes spurlos aus der Geschichte. Diese ist
aus zahlreichen Nebenplots zusammengesetzt, die offenkundig um ein
möglichst ausgeglichenes Bild vom Leben an der Westfront bemüht
sind. Joey und Topthorn treffen nacheinander auf deutsche Deserteure
(David Kross und Leonard Carow), einen französischen Bauern (Niels
Arestrup) und dessen Enkelin sowie einen von seinem Gewissen
geplagten deutschen Frontsoldaten und Pferdefreund (Nicolas Bro).
Zwar gelingt es den Autoren, Richard Curtis und Lee Hall, trotz
dieses Erzählstils eine gewisse Stringenz zu halten, doch vor
einigen einschneidenden Problemen sind auch sie nicht gefeit. So
wirkt es beispielsweise störend, dass in War Horse
Vertreter jeder Nationalität Englisch sprechen und sich die
Kriegsparteien nur durch ihre überzeichneten Akzente unterscheiden.
Auch enden die verschiedenen Episoden teilweise recht unbefriedigend,
weil vage und knapp – wenn sie denn überhaupt an ein Ende geführt
und nicht halbherzig übergangen werden. Doch die grösste Schwäche
des Drehbuches ist eine, die man nicht zum ersten Mal in einem Film
Spielbergs vorfindet: Das Ganze leidet an kompletter
Vorhersehbarkeit. Nicht nur der Ausgang der übergeordneten
Geschichte ist von Anfang an offensichtlich; auch Details wie ein
Geburtstagsgeschenk oder dem Tod geweihte Charaktere vermögen nicht
zu überraschen.
Ein Kriegspferd: Wildfang Joey in einer englischen Kaserne. |
Und
dennoch – es mag paradox klingen – findet sich in War
Horse
auch die inszenatorische Klasse Spielbergs. Denn trotz des
vorhersehbaren Plots und seiner Überlänge (150 Minuten), langweilt
War
Horse nicht;
die Inszenierung ist stilsicher, elegant, während der Kriegsszenen
sogar grandios. Tatkräftig unterstützt wird der Regisseur dabei von
seinem langjährigen Mitarbeiter John Williams, dessen grossartige
Musik höchstes Lob verdient, sowie von Kameramann Janusz Kamiński,
der zwar die Farbstilisierung in der Tradition von Gone
with the Wind in der
finalen Szene masslos übertreibt, ansonsten aber mit brillanten
Bildern und vorzüglicher Beleuchtung begeistert. Vom Technischen
abgesehen, ist es zudem
nahezu unmöglich, sich der emotionalen Komponente des Films zu
entziehen. Machen sich Spielberg und seine Autoren des Kitsches, des
Pathos, des Betätigens emotionaler Knöpfe, der Manipulation
schuldig? Jawohl, und das immer wieder; aber das Schicksal der
Protagonisten – primär jenes von Joey und Topthorn – geht
trotzdem ans Herz, ob man Pferde nun mag oder nicht. Der Film bedient
sich des altgedienten Prinzips der alles überdauernden Freundschaft
und fährt damit ausserordentlich gut. War
Horse lebt
von einem den Zynismus des Zuschauers überwindenden Charme, der sich
in mal humanistischen – ein Engländer und ein Deutscher befreien
im verstummten, von Leichen übersäten Niemandsland ein in
Stacheldraht verheddertes Pferd –, mal traurigen – Topthorns Ende
–, mal triumphalen – Joeys ungebremster Galopp durch eine
zerstörerische Schlacht –, immer hervorragend aufgezogenen Szenen
niederschlägt.
Ob
man den neuesten Kassenerfolg des Produzentenduos Spielberg/Kennedy
mag oder nicht, hängt stark von der Gewichtung der einzelnen Aspekte
ab. War
Horse leidet
an teilweise eklatanten Fehlern, schafft es aber stets, diese mit
wunderschönen Aufnahmen, bewegender Musik, mitreissender
Inszenierung und präzis gesetzten Gefühlsmomenten auszugleichen.
Gewährt man dem Film Einlass in sein Herz, wird man feststellen,
dass auch Kitsch und Pathos einen Platz darin haben – und dass es
im zeitgenössischen Kino wohl keinen gibt, der daraus das Beste so
effektiv herauszuholen vermag, wie Steven Spielberg.
★★★★☆☆
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