Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Wenn Schauspieler auf dem Regiestuhl Platz nehmen, ist das immer eine
heikle Angelegenheit. Nicht aber in Karl Markovics' Fall. Mit Atmen, einem naturalistischen Drama, durchsetzt von klassisch
österreichischem Schalk, ist ihm ein fulminantes Debüt gelungen.
Vier Jahre schon sitzt der 19-jährige Roman Kogler (Thomas Schubert)
in einer Jugendstrafanstalt bei Wien. Doch das stört den in Heimen
aufgewachsenen jungen Mann überhaupt nicht. Während sich seine
Mitinsassen darum bemühen, eine Arbeit zu finden und so frühzeitig
entlassen zu werden, zeigt Roman nicht das geringste Interesse an
einem Leben in Freiheit. Nach einigen harschen Worten seines
Bewährungshelfers jedoch meldet er sich auf ein Stelleninserat eines
Bestattungsinstituts. Nicht nur muss er dort anfängliche
Berührungsängste mit Leichen ablegen, er muss sich auch an den
rauen Umgangston seiner Kollegen, etwa dem distanzierten Rudolf
(Georg Friedrich), gewöhnen.
Obwohl
das Schreiben und Inszenieren von Filmen für Karl Markovics, der als
Hauptdarsteller im bemerkenswerten, mit einem Oscar ausgezeichneten
Kriegsdrama und Moralstück Die Fälscher internationale
Bekanntheit erlangte, Neuland sind, legt er in Atmen eine
beeindruckende Reife und Abgeklärtheit an den Tag. Mit spärlichen
Dialogen, einigen durchaus warmen Momenten, durch rechtzeitige
Schnitte ausgesparten Erörterungen – einem Nicolas Winding Refn
(Drive) nicht unähnlich – und Martin Gschlachts langen
Einstellungen, eingefangen von einer oft starren, dafür in
ungewöhnlichen Positionen platzierten Kamera, erzählt er eine
atmosphärische und enorm anregende Geschichte, der auch eine
komische Komponente nicht abgeht. Markovics begibt sich dabei
mehrmals auf die Spuren von Wolfgang Murnbergers Verfilmungen der
Wolf-Haas-Krimis – speziell Komm, süsser
Tod –, wo zwischen dem düsteren Thema Tod und der nonchalanten
Art, mit der beruflich damit verbundene Menschen damit umgehen, ein
ironischer Kontrast gebildet wird. Überdies besitzt Markovics ein
ausgesprochenes Flair für elegante Bildsprache, die sich in beinahe
magisch anmutenden Szenen wie die eines aus einem Metallsarg
entfliegenden Vogels, dem daraufhin die Tür zur Freiheit geöffnet
wird, oder eines unter Wasser verharrenden Roman niederschlägt.
Jungdelinquent Roman Kogler (Thomas Schubert) versucht, im
Berufsleben Fuss zu fassen.
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Und ebendieser Roman Kogler bildet das dramaturgische und emotionale
Zentrum des Films, allerdings ohne je mehr als einen Satz am Stück
von sich zu geben. Zwar wirkt der junge Mann auf den ersten Blick wie
eine normale, wenn auch etwas unnahbare Figur, doch die Frage, die
sich dem Zuschauer unweigerlich stellt, ist die nach seiner
Vergangenheit, denn sein langer Verbleib im Gefängnis entbehrt
sicherlich nicht eines triftigen Grundes. Dieses Rätsel ist eines
der vielen Spannungsfaktoren des Films. Darsteller Thomas Schubert,
ansonsten Stunt-Double, erweist sich als Idealbesetzung für die
Rolle, da er mit einem einzigen melancholischen Blick viel mehr viel
natürlicher zu sagen vermag, als Worte dazu in der Lage wären.
Filme wie Die Fälscher oder Der Knochenmann haben längst
den Beweis für die ausserordentliche Qualität von Österreichs
zeitgenössischer Filmindustrie erbracht. Mit dem grossartigen Atmen hat sich nun Karl Markovics ebenfalls in die Reihe von
Austrias grossen Regietalenten eingefügt. Man darf gespannt sein,
wie sich seine Zukunft als Regisseur und Drehbuchautor entwickeln
wird.
★★★★★½
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