Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Kaum eine Figur in der jüngeren Geschichte Grossbritanniens
polarisiert so stark wie die konservative Ex-Premierministerin
Margaret Thatcher. Es gehört also eine gehörige Portion Mut dazu,
ihr ein Biopic zu widmen, besonders wenn es, wie im Falle von The
Iron Lady, grundsätzlich unpolitisch ist.
Der neue Film von Phyllida Lloyd (Mamma Mia!) wurde schon nach
ersten Vorführungen scharf kritisiert, wobei die politischen Aspekte
häufig im Vordergrund standen. Rechte warfen Lloyd vor, die Ikone
Thatcher zu stark auf das Bild der dementen alten Frau zu reduzieren
und ihre Erfolge in ein schlechtes Licht zu rücken. Vertreter der
Linken wiederum waren der Meinung, The Iron Lady würde die
negativen Seiten seiner Protagonistin schönfärben. In Wahrheit
jedoch findet Lloyd in ihrem Film die goldene Mitte, indem sie von
ideologischen Interpretationen absieht und Thatcher als durchaus
fehlbare, aber auf ihre eigene Art beeindruckende Person darstellt.
Die von Autorin Abi Morgan entworfene Geschichte setzt dabei 2008 an:
Die Eiserne Lady (Meryl Streep, als Greisin mit tollem Make-Up
ausgestattet) leidet nach einer Serie leichter Schlaganfälle an
Demenz. Sie lebt zurückgezogen in einer Londoner Wohnung, wo sie von
ihrem Personal und ihrer Tochter Carol (Olivia Colman) umsorgt wird.
Oft führt sie mit ihrem verstorbenen Ehemann Denis (der grossartige
Jim Broadbent), von dessen Hab und Gut sie sich nicht trennen will,
imaginäre Gespräche, was ihre Betreuer sehr besorgt. Als Carol
einen Arzt alarmiert, erinnert sich Margaret an ihr ereignisreiches
Leben: von ihren ersten Gehversuchen in der Politik, über ihre Wahl
ins britische Unterhaus, bis hin zu ihren elf Jahren als
Premierministerin.
Eine Frau in der Männerdomäne: Premierministerin Margaret Thatcher
(Meryl Streep) bei einer Debatte im britischen House of Commons.
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The
Iron Lady ist nicht der einzige aktuelle Film, der eine
umstrittene Persönlichkeit ihr Leben assoziativ Revue passieren
lässt. Ähnlich wie in Clint Eastwoods ebenfalls unterschätztem J.
Edgar, inspirieren hier Kleinigkeiten elaborierte Rückblenden.
Der passende Rhythmus dazu wird zwar erst nach der etwas zu
ausgedehnten Exposition gefunden; dann aber schöpfen Lloyd und
Morgan aus dem Vollen: Die einzelnen Episoden, stets mit den
dazugehörigen Archivaufnahmen verknüpft, sind virtuos inszeniert –
Stichwort: Falkland – und zeichnen ein faszinierendes, teils auch
leicht karikiertes Bild der, so der Film, von verstockten Männern
dominierten britischen Politik, in welcher sich Margaret Thatcher als
quasi-feministische Pionierin hervortut. Dabei driftet das Ganze aber
nie ins Formelhafte ab, sondern bleibt ein ausgewogenes und
überraschend bewegendes Porträt einer Einzelkämpferin, die sich
der Einsamkeit, die Macht mit sich bringt, schmerzlich bewusst wird.
In dieser Rolle brilliert die zurecht mit einem Oscar ausgezeichnete
Meryl Streep, deren Darbietung weit über das blosse Imitieren einer
historischen Figur hinausgeht. Ihr gelingt das Kunststück, Thatcher
in ihrer ganzen Bandbreite darzustellen; sie vereinigt ihre gewitzte,
mitunter überaus sympathische Seite hervorragend mit ihrer
überheblichen, Kollegen und Konkurrenten gegenüber gleichermassen
tyrannischen Art.
Obwohl sich The Iron Lady den einen oder anderen formalen
Fauxpas leistet, präsentiert sich Phyllida Lloyd als gereifte
Regisseurin und liefert einen spannenden Film über eine, wenn nicht
grossartige, so doch unbestritten starke Persönlichkeit ab.
★★★★½
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