Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Andrew Stanton greift in seinem ersten Realspielfilm auf die Wurzeln
des Science-Fiction-Genres zurück. John Carter, die Verfilmung
des 1912 erschienenen ersten Teils von Edgar Rice Burroughs' Barsoom-Serie, mag alles andere als makellos sein, liefert aber
wunderbar altmodische Unterhaltung.
Als der Abenteurer, Exzentriker und Bürgerkriegsveteran – er
kämpfte auf Seiten des Südens – John Carter (Taylor Kitsch) 1881
urplötzlich stirbt, geht sein ganzer Besitz, einschliesslich seines
Tagebuchs, an seinen Neffen Edgar Burroughs (Daryl Sabar) über.
Darin erzählt er von einem unglaublichen Erlebnis, welches ihm 1868
widerfahren ist. Auf der Flucht vor Indianern findet John eine Höhle
voller Gold, von welcher aus er in eine Wüstenlandschaft, in der er
zu riesigen Sprüngen fähig ist, transportiert wird. Bald wird er
von seltsamen grünen Wesen, den Tharks, aufgegriffen, deren
Anführer, der Krieger Tars Tarkas (ein herausragender Willem Dafoe),
Gefallen am Fremdling findet. Nach und nach stellt sich heraus, dass
John auf dem Planeten Mars – oder Barsoom, wie er von den
Marsianern genannt wird – gelandet ist. Der, obwohl nur noch eine
trockene Einöde, von zahlreichen Völkern besiedelte rote
Himmelskörper ist seit Jahren Schauplatz eines erbitterten
Bürgerkrieges zwischen den Städten Zodanga, die unter dem Schutz
hinterhältiger Weiser steht, und Helium, angeführt von Prinzessin
Dejah (Lynn Collins).
Im Jahr 2012 einen Film zu machen, der auf der Idee aufbaut, dass der
Mars ein (gerade noch) bewohnbarer, von verschiedenen Spezies
bevölkerter Planet sein soll, ist ein beträchtliches Risiko, ist
doch gerade das junge Sci-Fi-Genre in letzter Zeit stark um Realismus
und technische Glaubwürdigkeit bemüht – man denke an Filme wie
Danny Boyles Sunshine (2007), Cargo (2009), den
gefloppten "Blockbuster" aus Schweizer Produktion, oder natürlich
James Camerons Avatar aus demselben Jahr, seines Zeichens
erfolgreichster Streifen aller Zeiten. Gerade mit diesem wurde Andrew
Stantons (WALL-E) vierte Regie-Arbeit oft verglichen, selten
positiv. Dabei ist John Carter ein in mancherlei Hinsicht
besserer Film als Camerons CGI-Orgie, welche sich schamlos bei
anderen Werken bedient hat – von Dances with Wolves bis Ferngully.
Brüder im Geiste: Der Marsianer Tars Tarkas (Willem Dafoe) und der
Erdling John Carter (Taylor Kitsch) kämpfen Seite an Seite.
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Zwar kommt auch die von den Pixar-Leuten Stanton und Mark Andrews
sowie dem Romancier Michael Chabon geschriebene Burroughs-Adaption
nicht ohne Probleme aus. Die Humorversuche scheitern teils schon im
Ansatz; gewisse Charaktere erweisen sich als inkonsistent; 3-D wäre
nicht nötig gewesen; und der Schauplatz Mars wird seinem Potenzial
nie ganz gerecht. Doch der Film versucht sich nicht an gestellter
Plausibilität, sondern bleibt der Vorlage, entstanden in einer Zeit,
in der Gedanken über interstellares Reisen noch wahrhaftig
fantastisch waren, konsequent treu. Auch die Designs können sich
sehen lassen, insbesondere die vierarmigen Tharks. Darüber hinaus
erreicht die Titelfigur eine ungeahnte Tiefe. Sinnbildlich dafür
steht sein Kampf gegen die wilden Artgenossen der Tharks – die
beste Actionszene des Films –, der mit Johns Erinnerung an den
gewaltsamen Tod seiner Frau verwoben wird – eine visuell wie
emotional furiose Szene.
Auch wenn er in die eine oder andere Genre-Falle tappt, gelingt es John Carter überraschend gut, die Mythologie der Vorlage in
einem 130-minütigen Film, bei dem vor allem die ausgezeichnete
Schlussviertelstunde nachhallen wird, einigermassen flüssig zu
erzählen. In der inzwischen auf Realismus getrimmten Kinowelt ist es
erfrischend, eine Weltraum-Saga aus einer Zeit zu sehen, in der "Fiction" in Science-Fiction noch hochgehalten wurde.
★★★★☆☆
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