Egal zu
welchen verblüffenden Leistungen CGI und Makeup in Zukunft noch
getrieben werden, die besten und effektivsten Filme aus den Horror-
und Psychothrillergenres werden immer auf der subtilen Aufarbeitung
von Urängsten und dem Schrecken der menschlichen Psyche aufgebaut
sein. Einen neuerlichen Beweis hierfür liefert der junge
amerikanische Regisseur Jeff Nichols, der 2007 mit seinem
eindringlichen Familiendrama Shotgun Stories
in der Indie-Szene für Aufsehen sorgte. Sein zweiter Film hat nichts
von der Intensität seines Vorgängers eingebüsst. Im Gegenteil,
Take Shelter glänzt
durch eine sorgfältig aufgebaute, von faszinierenden Mystery- und
Horrorelementen durchsetzte Geschichte, deren Atmosphäre tiefsten
Unbehagens einen so schnell nicht mehr loslässt.
In Zeiten von Finanz- und anderen Krisen lebt Curtis LaForche
(Michael Shannon) ein beneidenswertes Leben. Er ist glücklich mit
Samantha (Jessica Chastain) verheiratet, ihre kleine Tochter Hannah
(Tova Stewart) ist zwar hörbehindert, kann sich aber durch
Gebärdensprache gut verständigen; sein Haus in der Suburbia einer
Stadt im US-Staat Ohio ist ein Traum; und von seiner Arbeit als
Bauarbeiter kommt die ganze Familie ansprechend über die Runden.
Doch plötzlich wird Curtis Nacht für Nacht von apokalyptischen
Träumen heimgesucht: Am Horizont braut sich ein gewaltiger Sturm
zusammen, dem als Vorboten ölige Regentropfen vorausgehen. Sein
ansonsten friedlicher Hund beisst ihm fast die Hand ab. Menschen
wollen ihm und seiner Familie an den Kragen. Vogelschwärme fliegen
in bizarren Formationen. Ohne Samantha davon zu berichten, begibt er
sich in psychologische Therapie, denn er weiss um seine familiäre
Vorbelastung: Bei seiner Mutter (Kathy Baker) wurde vor 25 Jahren
paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Getrieben von seinen Träumen
und Vorahnungen, beschliesst Curtis zudem, den alten Tornadobunker im
Garten auf Vordermann zu bringen. Doch wovor will er seine Familie
beschützen – vor einem drohenden Sturm oder vor sich selbst?
Stürme
und Gewitter sind eine Trope, welche in der Kunst schon seit
Jahrhunderten eifrig als Metapher benutzt werden – am bekanntesten
wohl in William Shakespeares The Tempest.
In Take Shelter kommt
dieser Symbolik eine interessante Doppelrolle zu: Einerseits steht
sie als phyische Manifestation für Curtis' dunkle Gedanken,
andererseits als reale Bedrohung seines glücklichen Lebens. Beides
kann als Kommentar auf die Kehrseite des uramerikanischen Mantras,
des "Strebens nach Glück", verstanden werden. Hat man
einen gewissen Grad persönlichen Glücks erreicht, dann bringt das
ganz von allein auch die Angst mit sich, dieses wieder zu verlieren.
Entsprechend sind Curtis' Träume, selbst wenn der dräuende Sturm
nicht im Zentrum steht, ganz vom Verlust geprägt; sei es der Hund,
der ihn plötzlich angreift; die Zerstörung von Hab und Gut; das
gewaltsame Ende einer Freundschaft; die fremden Hände, die sich zu
keiner klar umrissenen Person zuordnen lassen, die nach Hannah und
Samantha greifen. Take Shelter mag
primär ein psychologisches Mysterydrama um einen Familienvater sein
der den Tücken seiner Psyche anheim fällt, doch unter der fiktiven
Oberfläche befindet sich Jeff Nichols' kraftvolle Abhandlung über
ein Amerika, dessen Bevölkerung von Angst und existentieller
Verunsicherung geprägt ist.
Curtis LaForche (Michael Shannon) sieht einen Sturm aufziehen – echt oder imaginär?. |
Doch
auch ohne den hochaktuellen Subtext vermag der Film zu überzeugen.
Nichols konstruiert eine ruhige Atmosphäre, in der Bedrohung und
Unruhe aber eindeutig spürbar sind, angeheizt durch die äusserst
stimmige Musik, Adam Stones vielfach beunruhigend starre Kamera und
die wahrlich beängstigenden Träume seiner Hauptfigur. In dieser
Rolle verdient sich Michael Shannon, Hollywoods ewiger
Nebendarsteller, der in Filmen wie Before the Devil Knows
You're Dead oder Revolutionary
Road für unvergessliche Momente
sorgte, einmal mehr nur das höchste Lob. In den manchmal nur
minimalen Bewegungen seines von tiefen Sorgenfalten durchzogenen
Gesichts findet sich ein intelligenter, rationaler, eigentlich
besonnener Mann, der von seinem erratischen Verhalten selbst am
meisten gequält wird, sich selber aber aus sozialen wie finanziellen
Gründen nicht helfen kann. Und obwohl er lange seine Fassung behält,
zeichnet sich schon früh ein im Innern aufziehendes Gewitter ab,
das, als es dann schlussendlich losbricht, umso intensiver wütet.
Neben
Shannon, der, wenn er wie hier in Bestform agiert, in der Lage ist,
seine Castkollegen an die Wand zu spielen, vor der Kamera zu stehen
und in Erinnerung zu bleiben, fällt entsprechend schwer. Doch
Jessica Chastain, deren Auftritt in Take Shelter übrigens
ihr siebter (!) in einem in den USA 2011 erschienenen Film war und
deren bisherige Leistungen, von The Tree of Life bis
The Help, oft von der
eher weniger subtilen Sorte waren, brilliert als Ehefrau Samantha,
der die Sorgen und die Anstrengungen, die der Zustand ihres Mannes
ihr bereitet, buchstäblich ins Gesicht geschrieben stehen. Ihr
Blick, der die antiklimaktischen, mit stiller Fulminanz vorgetragenen
Schlusssekunden einleitet, ist alleine Beweis genug für ihr
beachtliches schauspielerisches Talent. Dass bei einer cineastischen
Tour de force dieses Kalibers die Liste der Vorbehalte recht kurz
ausfällt, überrascht also nicht. Wenn man Jeff Nichols überhaupt
etwas vorwerfen kann, dann wohl am ehesten die Tatsache, dass sein
Film mit einer Länge von zwei Stunden minimal zu lang ist, wodurch
sich das Ganze stellenweise etwas episodenhaft anfühlt, was der
Spannung aber niemals abträglich ist.
Bedrohtes Familienglück: Curtis mit Tochter Hannah und Frau Samatha (Jessica Chastain). |
Auch
wenn Nichols sich in Take Shelter
oberflächlich auf anderes Terrain als in Shotgun Stories
begibt, bleiben die übergeordneten Themen die gleichen:
Existenzangst, Bedrohung, Familienwerte und -verhältnisse, das
zeitgenössische "Heartland" Amerikas. Verpackt sind diese
in einer fesselnden Geschichte, in der das Geheimnisvolle und das
Bedrohliche in bester Poe'scher Manier mit maximaler Wirkungskraft
eingesetzt wird. Wenn die Zukunft des amerikanischen Films von Leuten
wie Jeff Nichols bestimmt wird, kann man sich zweifelsfrei darauf
freuen.
★★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen