Mittwoch, 28. März 2012

Take Shelter

Egal zu welchen verblüffenden Leistungen CGI und Makeup in Zukunft noch getrieben werden, die besten und effektivsten Filme aus den Horror- und Psychothrillergenres werden immer auf der subtilen Aufarbeitung von Urängsten und dem Schrecken der menschlichen Psyche aufgebaut sein. Einen neuerlichen Beweis hierfür liefert der junge amerikanische Regisseur Jeff Nichols, der 2007 mit seinem eindringlichen Familiendrama Shotgun Stories in der Indie-Szene für Aufsehen sorgte. Sein zweiter Film hat nichts von der Intensität seines Vorgängers eingebüsst. Im Gegenteil, Take Shelter glänzt durch eine sorgfältig aufgebaute, von faszinierenden Mystery- und Horrorelementen durchsetzte Geschichte, deren Atmosphäre tiefsten Unbehagens einen so schnell nicht mehr loslässt.

In Zeiten von Finanz- und anderen Krisen lebt Curtis LaForche (Michael Shannon) ein beneidenswertes Leben. Er ist glücklich mit Samantha (Jessica Chastain) verheiratet, ihre kleine Tochter Hannah (Tova Stewart) ist zwar hörbehindert, kann sich aber durch Gebärdensprache gut verständigen; sein Haus in der Suburbia einer Stadt im US-Staat Ohio ist ein Traum; und von seiner Arbeit als Bauarbeiter kommt die ganze Familie ansprechend über die Runden. Doch plötzlich wird Curtis Nacht für Nacht von apokalyptischen Träumen heimgesucht: Am Horizont braut sich ein gewaltiger Sturm zusammen, dem als Vorboten ölige Regentropfen vorausgehen. Sein ansonsten friedlicher Hund beisst ihm fast die Hand ab. Menschen wollen ihm und seiner Familie an den Kragen. Vogelschwärme fliegen in bizarren Formationen. Ohne Samantha davon zu berichten, begibt er sich in psychologische Therapie, denn er weiss um seine familiäre Vorbelastung: Bei seiner Mutter (Kathy Baker) wurde vor 25 Jahren paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Getrieben von seinen Träumen und Vorahnungen, beschliesst Curtis zudem, den alten Tornadobunker im Garten auf Vordermann zu bringen. Doch wovor will er seine Familie beschützen – vor einem drohenden Sturm oder vor sich selbst?

Stürme und Gewitter sind eine Trope, welche in der Kunst schon seit Jahrhunderten eifrig als Metapher benutzt werden – am bekanntesten wohl in William Shakespeares The Tempest. In Take Shelter kommt dieser Symbolik eine interessante Doppelrolle zu: Einerseits steht sie als phyische Manifestation für Curtis' dunkle Gedanken, andererseits als reale Bedrohung seines glücklichen Lebens. Beides kann als Kommentar auf die Kehrseite des uramerikanischen Mantras, des "Strebens nach Glück", verstanden werden. Hat man einen gewissen Grad persönlichen Glücks erreicht, dann bringt das ganz von allein auch die Angst mit sich, dieses wieder zu verlieren. Entsprechend sind Curtis' Träume, selbst wenn der dräuende Sturm nicht im Zentrum steht, ganz vom Verlust geprägt; sei es der Hund, der ihn plötzlich angreift; die Zerstörung von Hab und Gut; das gewaltsame Ende einer Freundschaft; die fremden Hände, die sich zu keiner klar umrissenen Person zuordnen lassen, die nach Hannah und Samantha greifen. Take Shelter mag primär ein psychologisches Mysterydrama um einen Familienvater sein der den Tücken seiner Psyche anheim fällt, doch unter der fiktiven Oberfläche befindet sich Jeff Nichols' kraftvolle Abhandlung über ein Amerika, dessen Bevölkerung von Angst und existentieller Verunsicherung geprägt ist.

Curtis LaForche (Michael Shannon) sieht einen Sturm aufziehen – echt oder imaginär?.
Doch auch ohne den hochaktuellen Subtext vermag der Film zu überzeugen. Nichols konstruiert eine ruhige Atmosphäre, in der Bedrohung und Unruhe aber eindeutig spürbar sind, angeheizt durch die äusserst stimmige Musik, Adam Stones vielfach beunruhigend starre Kamera und die wahrlich beängstigenden Träume seiner Hauptfigur. In dieser Rolle verdient sich Michael Shannon, Hollywoods ewiger Nebendarsteller, der in Filmen wie Before the Devil Knows You're Dead oder Revolutionary Road für unvergessliche Momente sorgte, einmal mehr nur das höchste Lob. In den manchmal nur minimalen Bewegungen seines von tiefen Sorgenfalten durchzogenen Gesichts findet sich ein intelligenter, rationaler, eigentlich besonnener Mann, der von seinem erratischen Verhalten selbst am meisten gequält wird, sich selber aber aus sozialen wie finanziellen Gründen nicht helfen kann. Und obwohl er lange seine Fassung behält, zeichnet sich schon früh ein im Innern aufziehendes Gewitter ab, das, als es dann schlussendlich losbricht, umso intensiver wütet.
 
Neben Shannon, der, wenn er wie hier in Bestform agiert, in der Lage ist, seine Castkollegen an die Wand zu spielen, vor der Kamera zu stehen und in Erinnerung zu bleiben, fällt entsprechend schwer. Doch Jessica Chastain, deren Auftritt in Take Shelter übrigens ihr siebter (!) in einem in den USA 2011 erschienenen Film war und deren bisherige Leistungen, von The Tree of Life bis The Help, oft von der eher weniger subtilen Sorte waren, brilliert als Ehefrau Samantha, der die Sorgen und die Anstrengungen, die der Zustand ihres Mannes ihr bereitet, buchstäblich ins Gesicht geschrieben stehen. Ihr Blick, der die antiklimaktischen, mit stiller Fulminanz vorgetragenen Schlusssekunden einleitet, ist alleine Beweis genug für ihr beachtliches schauspielerisches Talent. Dass bei einer cineastischen Tour de force dieses Kalibers die Liste der Vorbehalte recht kurz ausfällt, überrascht also nicht. Wenn man Jeff Nichols überhaupt etwas vorwerfen kann, dann wohl am ehesten die Tatsache, dass sein Film mit einer Länge von zwei Stunden minimal zu lang ist, wodurch sich das Ganze stellenweise etwas episodenhaft anfühlt, was der Spannung aber niemals abträglich ist.

Bedrohtes Familienglück: Curtis mit Tochter Hannah und Frau Samatha (Jessica Chastain).
Auch wenn Nichols sich in Take Shelter oberflächlich auf anderes Terrain als in Shotgun Stories begibt, bleiben die übergeordneten Themen die gleichen: Existenzangst, Bedrohung, Familienwerte und -verhältnisse, das zeitgenössische "Heartland" Amerikas. Verpackt sind diese in einer fesselnden Geschichte, in der das Geheimnisvolle und das Bedrohliche in bester Poe'scher Manier mit maximaler Wirkungskraft eingesetzt wird. Wenn die Zukunft des amerikanischen Films von Leuten wie Jeff Nichols bestimmt wird, kann man sich zweifelsfrei darauf freuen.

★★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen