Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Trotz zahlreicher Auszeichnungen und drei Oscarnominationen vermochte
die neueste irische Grosspruduktion bisher weder Publikum noch Kritik
zu überzeugen. Albert Nobbs, der gediegenen Adaption von
George Moores Geschichte, fehlt es an Fokus und Stringenz.
Dublin im 19. Jahrhundert: Im Morrison's Hotel geben sich Vertreter
der "besseren" Gesellschaft die Ehre. Unter dem Personal schätzen
die Gäste vor allem einen: Albert Nobbs (Glenn Close, welche die
Rolle 1982 schon auf der Bühne spielte), treuer Bediensteter in Mrs.
Bakers (Pauline Collins) Etablissement. Jeder kennt ihn, jeder steckt
ihm ein Trinkgeld zu. Doch der schüchterne Butler hat ein Geheimnis:
Er ist eine Frau, die sich in jungen Jahren dazu entschloss, sich
eine erfundene Identität anzueignen, um einer gut bezahlten Arbeit
nachzugehen. Als der Maler Hubert Page (Janet McTeer) hinter ihr
Geheimnis kommt und ihr offenbart, dass auch er eine Frau ist,
freundet sich "Albert" mit ihr und ihrer Frau Cathleen (Bronagh
Gallagher) an. Derweil verliebt sich das Zimmermädchen Helen (Mia
Wasikowska) in den Handwerker Joe (Aaron Johnson), der sich nach
Amerika absetzen will. Allerdings versucht nun auch Albert, um die
junge Frau zu werben, sodass er sie heiraten und einen Tabakladen
eröffnen kann, um endlich in Freiheit zu leben.
Man kann der Academy of Motion Picture Arts and Sciences vieles
vorwerfen, doch bezüglich Albert Nobbs ist er ihr gelungen,
den Film in den exakt richtigen Kategorien zu nominieren: Haupt- und
Nebendarstellerin sowie Makeup. Dieses sind ohne Frage die grössten
Stärken des Films von Rodrigo García (Mother and Child).
Unterstützt von sehr dezenter Schminke, begeistern Glenn Close
(Fatal Attraction, Dangerous Liaisons) und Janet McTeer
(Tumbleweeds, Into the Storm) als Pragmatikerinnen, die
sich in einer Gesellschaft, in welcher Geschlechterrollen von
Garderobe und Gebaren abhängen, ein Stück Selbstbestimmung
erarbeiten, sich dabei aber selber verleugnen müssen: "What's your
name?" – "Albert" – "Your real name?" – "Albert".
Dieser Dialog zwischen den beiden Frauen ist keine Stilisierung;
nicht zuletzt das grandiose Schauspiel Closes und McTeers sorgt
dafür, dass die beiden in Albert Nobbs in Frauenkleidern
letztlich unnatürlich aussehen.
Albert (Glenn Close) wirbt um die Gunst der jungen Helen (Mia
Wasikowska).
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Unverständlicherweise gibt sich der Film aber nicht damit zufrieden,
sich auf das Zusammenspiel der beiden verkleideten Frauen und die
damit verbundenen Themen – Emanzipation, Identität,
Homosexualität, Freiheitsbegriff – zu konzentrieren. García, der
den ursprünglich für die Regie vorgesehenen István Szabó
ersetzte, sowie die Drehbuchautoren Close und der irische Autor John
Banville jonglieren mit zu vielen Motiven und Nebenplots, wodurch die
Erzählung ihre Prägnanz verliert. Vor allem die Liebesgeschichte
zwischen Joe und Helen kann nicht überzeugen, wohl auch weil Aaron
Johnson und Mia Wasikowska, obgleich solide, von ihren älteren
Kollegen – Close, McTeer und auch Brendan Gleeson – an die Wand
gespielt werden. Darüber hinaus scheint sich Albert Nobbs nie
richtig sicher zu sein, welchen Tonfall angeschlagen werden soll. Das
Resultat ist eine Tragikomödie, die Tragödie und Komödie nie
harmonisch miteinander vereinen kann, schön veranschaulicht vom
bemühten Ende, das vielem zuwiderläuft, was in den vorangegangenen
zwei Stunden aufgebaut wurde.
★★★
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