Sonntag, 29. April 2012

The Avengers

Mit dem Erfolg des Superheldenteams "Justice League of America", welches 1960 von DC Comics ins Leben gerufen wurde, geriet der konkurrierende Marvel-Verlag Anfang der Sechzigerjahre in Zugzwang und veröffentlichte 1963 die erste Ausgabe der "Avengers", einer Heldentruppe, bestehend aus Iron Man, Thor und Hulk sowie den in Vergessenheit geratenen Ant-Man und Wasp. Zwar scheint das Konzept wie gemacht für eine gross angelegte Verfilmung, doch die Fans mussten bis 2008 warten, bis ein derartiges Projekt ins Auge gefasst wurde. Eine Serie von Adaptionen einzelner Charaktere, die 2008 mit Iron Man begann, führte nach und nach zu The Avengers, einem der meisterwarteten Hollywood-Unterhaltungsstreifen des Jahres 2012. Enttäuscht werden dürften die Wenigsten: Joss Whedons Film mag seine Schwächen haben, perfektioniert aber die Actionelemente und die Darstellung der beliebten Figuren.

Nach den Ereignissen in Kenneth Branaghs Thor konnte S.H.I.E.L.D. den "Tesseract" aus Asgard an sich bringen. Zurzeit wird der blau leuchtende Würfel in den Labors der Organisation unter der Leitung von Erik Selvig (Stellan Skarsgård) und Nick Fury (Samuel L. Jackson) untersucht. Doch plötzlich steht der böse Halbbruder Thors (Chris Hemsworth), Loki (Tom Hiddleston), vor dem Tesseract, holt Selvig und den Bogenspezialisten Hawkeye (Jeremy Renner) auf seine Seite und macht sich davon. Der Plan des zwischen Welten reisenden Gottes besteht darin, mit dem mächtigen Energieartefakt und einer ausserirdischen Armee – den Chitauri – die Erde zu unterwerfen. Die Lage ist dermassen verzweifelt, dass Nick Fury die eigentlich abgebrochene "Avengers-Initiative" reaktiviert. Es werden der Donnergott Thor, der hochintelligente Playboy und Magnat Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.), der bis vor Kurzem im arktischen Eis festgefrorene Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans), die Agentin Natasha Romanoff alias Black Widow (Scarlett Johansson) und der brillante Wissenschaftler Bruce Banner (Mark Ruffalo), der, wenn er wütend wird, sich in den grünen Giganten Hulk verwandelt, engagiert. Das Team bekundet allerdings Mühe, zueinander zu finden – nicht zuletzt durch Lokis Eingreifen –, treffen hier doch Egomanen auf Patrioten und Muskelprotze auf schüchterne Kopfmenschen.

Verschiedene Persönlichkeiten, Seite an Seite: Iron Man (Robert Donwey Jr.) und Captain America (Chris Evans).
Dass ein Comic-Crossover wie The Avengers im Kino schwierig umzusetzen ist, war von Anfang an klar. Die goldene Mitte zwischen dem eingeweihten und dem unbedarften Zuschauer muss gefunden werden; es ist abzuwägen, wieviel Vorwissen vorausgesetzt werden soll; es besteht das Risiko, gewisse Fangemeinden zu verärgern, da Superhelden nach wie vor in erster Linie Einzelkämpfer sind. Es lässt sich kaum bestreiten, dass Joss Whedon (Buffy the Vampire Slayer) und sein Co-Autor Zak Penn (Last Action Hero, The Incredible Hulk) in ihrem Drehbuch den bestmöglichen Weg gingen. The Avengers ist kein Film, der von seinem Plot angetrieben wird; es sind die Charaktere, die im Zentrum stehen. Dafür mussten allerdings Konzessionen gemacht werden. So wirkt das Ganze in den ersten 30 bis 45 Minuten allzu behäbig, sodass teilweise sogar, wie in den schwächsten Passagen von Thor, das Gefühl entsteht, die Geschichte bewege sich kaum vorwärts.

Jedoch zahlt es sich in eben diesen Momenten aus, dass in Whedon ein Regisseur und Autor gefunden wurde, der mit einem solchen Ensemble umgehen kann. Nicht nur führt er Nebenfiguren wie Black Widow und Hawkeye, deren individuelle Franchisen nicht prestigeträchtig genug sind, um eigene Filme zu generieren, äusserst elegant ein; er weiss auch, wie er die verschiedenen Persönlichkeiten seiner Helden, den "lost creatures", wie es Loki hervorragend auf den Punkt bringt, aufeinanderprallen lassen kann. Anders als bei DCs oftmals überperfekten Kämpfern für Gerechtigkeit ist die Menschlichkeit von Marvels Helden nämlich ein wichtiger Teil ihres Reizes; es wird viel Wert auf die menschlichen Schwächen der übermenschlichen Kreaturen gelegt. Whedon findet im uramerikanischen und deswegen auch gottesfürchtigen Captain America einen würdigen Antipoden zum nordischen Gott Thor und dem zynischen Tony Stark. Dieser wiederum freundet sich schnell mit Bruce Banner an, da beide Unfälle hinter sich haben – Stark eine Explosion, Banner eine Verseuchung durch Gammastrahlen –, welche sie nach gängiger Lehrmeinung nicht hätten überleben sollen. Daraus gewinnt Whedon die nötigen Konflikte und Spannungen, welche dem kaum vorhandenen Plot etwas dringend gebrauchte Dynamik verleihen. Auch lässt er den Humor zu seinem Recht kommen, sei es durch die grandiosen Einzeiler, an welchen es jüngeren Marvel-Verfilmungen, mit Ausnahme von Iron Man, meist fehlte, den stets ironischen Tonfall, die Anspielungen auf vorangegangene Filme oder die herrlichen gegenseitigen Neckereien der Figuren.

"We have a Hulk" – Bruce Banner in seiner Superheldenform.
Sein ganzes Potential schöpft The Avengers schliesslich in der zweiten Hälfte aus. Sobald sich alle Protagonisten zusammengefunden haben und ein Plan ausgeheckt ist, wirkt der Film wie entfesselt. Die bestens aufgelegten, endlich vereinten Schauspieler – allen voran Robert Downey Jr. und Samuel L. Jackson – interagieren prächtig miteinander, die Witze sitzen, Dramatik und Dringlichkeit stellen sich ein. Zur Vollendung werden diese Elemente in einer gigantischen finalen Schlacht gebracht, in welcher Whedon und Kameramann Seamus McGarvey demonstrieren, wie eine derartige Materialschlacht zu inszenieren ist. Anders als die endlosen Roboterkämpfe in Michael Bays Transformers-Reihe lassen sich hier Pro- und Antagonisten tatsächlich unterscheiden; die Kamera wackelt nicht unnötig; Humor und Charakterzüge werden beibehalten; Sinn und Zweck sowie ein Ziel sind eindeutig erkennbar. Zudem reüssiert The Avengers dort, wo Hulk und The Incredible Hulk gescheitert sind: Der grüne Wüterich wird in dieser letzten halben Stunde erstmals treffend dargestellt und eingesetzt: Bruce Banner wird zu einem quasi unbesiegbaren Monster, welches seine Taten aber immer noch kontrollieren kann. Seine Begegnung mit Loki ("Puny god") dürfte einem noch lange in Erinnerung bleiben.

Es ist kaum anzunehmen, dass die lange herbeigesehnte Kinoadaption von Marvels Superheldenteam als Sieger aus dem direkten Vergleich mit Christopher Nolans anstehendem dritten Teil seiner Batman-Trilogie, The Dark Knight Rises, hervorgehen wird. Dennoch beweist Joss Whedon mit The Avengers, dass auch in einem auf Action ausgerichteten Unterhaltungsfilm geschmackvoller Humor und dreidimensionale Charaktere ihren Platz haben – auch wenn Dampfhammer-Filmer wie Michael Bay die Zuschauer dauernd vom Gegenteil überzeugen wollen.

★★★★

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