In den Filmen des Texaners Wes Anderson werden Ironie, Skurrilität und Aussenseitertum gross geschrieben. Auch in Moonrise Kingdom, seinem siebten Werk, finden sich diese Aspekte, werden aber durch Romantik und Nostalgie ergänzt. Das Resultat? Wunderschönes Indie-Kino!
Irgendwo vor der Küste New Englands liegt eine kleine Insel ohne
gepflasterte Strassen, dafür mit Maisfeldern, Wäldern und einem
See. Das Jahr ist 1965 und im Pfadfinderlager "Ivanhoe" beginnt
ein ganz normaler Tag. Lagerleiter Ward (Edward Norton) inspiziert
die verschiedenen Projekte, zählt seine Schützlinge durch, setzt
sich an den Frühstückstisch und merkt, dass einer fehlt: Das
unbeliebte Waisenkind Sam (Jared Gilman) ist geflohen. Ward alarmiert
die örtliche Polizei, bestehend aus Captain Sharp (Bruce Willis),
der sogleich sämtliche Familien der Insel aufsucht, um nach Sam zu
fragen. Zuletzt klingelt er an der Tür des Anwaltsehepaars Bishop
(Frances McDormand und Bill Murray), wohnhaft in "Summer's End".
Doch auch sie geben an, nichts gesehen zu haben, nicht ahnend, dass
ihre Tochter Suzy (Kara Hayward) ebenfalls verschwunden ist. Suzy und
Sam haben sich bei einer Theatervorführung ineinander verliebt und
wollen nun zusammen sein – den Einwänden der fiesen Pfadfinder,
der Bishops und des "Sozialamts" (Tilda Swinton) zum Trotz.
Wes Anderson wird gerne vorgeworfen, seine Filme seien nur darauf
angelegt, die vielen ungeliebte, wenn nicht sogar verhasste,
Hipster-Subkultur zu befriedigen, jene meist jungen Leute, die sich
vor dem Mainstream ekeln und sich oft schwelgerisch auf eine
Vergangenheit zurückbesinnen, die sie selber gar nicht erlebt haben. Moonrise Kingdom wird diese Anschuldigungen eher verstärken
denn entkräften. Anderson spielt Benjamin Britten, Hank Williams und
Françoise Hardy; er zitiert The Shawshank Redemption und Harold and Maude. Diese Assoziationen sind eingebettet in eine
Geschichte, die in Sachen Idealismus und Aufrichtigkeit alles
übertrifft, was in Andersons Œuvre bis dato zu sehen war. Er und
Co-Autor Roman Coppola, Sohn von Francis Ford Coppola (The
Godfather), haben eine hinreissende, von herrlichen, oft im
Hintergrund stattfindenden Eigenheiten, durchsetzte Ode an die
Kindheit geschaffen.
Aufbruchstimmung: Die Ausreisser Sam (Jared Gilman) und Suzy (Kara
Hayward) suchen einen Ort, an dem sie vor den Erwachsenen sicher
sind.
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In dieser Welt, in der die Erwachsenen sich auf die doch ziemlich
überdrehte Suche nach den flüchtigen Kindern einlassen und sich
dabei um ein Vielfaches kindischer verhalten als der eigene
Nachwuchs, finden sich nicht nur schräge Charaktere wie Jason
Schwartzmans beredter Pfadfinderleiter/Trickbetrüger, Harvey
Keitels Quasi-General und Bob Balabans phlegmatischer Erzähler. Moonrise Kingdom, obwohl immer auf sublim-skurrile Weise
lustig, ist eine äusserst gefühlvolle Angelegenheit, auch
hinsichtlich seiner Nebenfiguren. Die Ehekrise der Bishops wird mit
enormem Scharfsinn in wenigen Worten zusammengefasst; ebenso das
unerfüllte Leben des Captain Sharp. Im Mittelpunkt allerdings steht
die Liebe zwischen Sam und Suzy, bewundernswert gespielt von Jared
Gilman und Kara Hayward. Beide sind zwar erst zwölf Jahre alt und
verhalten sich manchmal wie kleiner Bruder und grosse Schwester, doch
in ihren gemeinsamen Szenen blüht echte Romantik auf – grossartig
die Szene, in der das Paar zu Françoise Hardys "Le temps de
l'amour" tanzt –, gepaart mit vorpubertärer Unsicherheit. Moonrise Kingdom ist eine Fantasie, doch eine, auf die man sich
nur zu gerne einlässt.
★★★★★