Im Jahre 1972 stösst eine Gruppe von Bauarbeitern auf einen mit
Ketten verschlossenen Stahlsarg. Neugierig öffnen sie ihn, nicht
ahnend, dass dies ihr Ende bedeutet: Aus der Kiste entsteigt nämlich
der verfluchte Vampir Barnabas Collins (Johnny Depp), der 200 Jahre
auf seine Befreiung gewartet hat. Die neue Epoche verwirrt das
galante, wortgewandte Monster aber derart, dass er Zuflucht in seinem
alten Anwesen sucht: Collinwood, im Städtchen Collinsport, Maine,
gegründet von Barnabas' Familie. Seine Nachfahren, die er in seinem
Haus antrifft, sind aber weit weniger erfolgreich als er es sich
erhoffte: Die Familie hat das Fischereimonopol längst verloren;
Mutter Elizabeth (Michelle Pfeiffer), ihr Bruder Roger (Johnny Lee
Miller) sowie die Kinder Carolyn (Chloë Grace Moretz) und David
(Gulliver McGrath) hängen antriebslos in der verfallenden Villa
herum. Barnabas interessiert sich aber besonders für eine Bewohnerin
Collinwoods: das frisch angestellte Kindermädchen Victoria (Belle
Heathcote), welche er als Reinkarnation seiner Verlobten Josette aus
dem 18. Jahrhundert wieder erkennt. Und sein Kampfgeist wird erst
recht geweckt, als er erfährt, dass Collinsport immer noch von
Angelique Bouchard (Eva Green) terrorisiert wird – der Dame,
welcher er sein Vampirdasein zu verdanken hat.
Eine Serie wie Dark Shadows zu verfilmen, ist weitaus
schwieriger als man zunächst vermuten könnte. Zwar waren Tim Burton
und sein Drehbuchautor, der Romancier Seth Grahame-Smith (Abraham
Lincoln: Vampire Hunter), in der Lage, auf einen Episodenfundus
von über 1'200 Episoden zurückgreifen, doch diese zeichnen sich
nicht in erster Linie dadurch aus, Meisterwerke der Erzählung zu
sein. Viel vom Kult um Dan Curtis' Kreation ist auf die
überdramatischen Darbietungen, die grosse Menge an Figuren, die von
einer kleinen Truppe von Schauspielern verkörpert wurde, und die
manchmal allzu wilden Storylines, sprich die Affektiertheit, den
"Camp", zurückzuführen. Das Problem ist offenkundig: Kann
man einen im klassischen Sinne guten Film produzieren, wenn
gleichzeitig darauf geachtet werden muss, den Charme des Originals,
das Vergnügen auf der Meta-Ebene, mit einzufangen? Im Fall von Dark
Shadows kann man die Herausforderung zumindest als einigermassen
gelungen betrachten. Wie schon im auf Kaugummisammelkarten
basierenden Mars Attacks! hält er auch hier die Balance
zwischen Story und quellenbezogener Ironie ganz ansprechend, wenn
auch nicht durchgehend, zumal er auch das Unmögliche versucht und
die Essenz aus 1'225 Folgen in einem knapp zweistündigen Film
unterzubringen.
Der Vampir Barnabas Collins (Johnny Depp) ist zurück in seinem – mittlerweile heruntergekommenen – Anwesen. |
Entsprechend ist Burtons 17. Regiearbeit eine ziemlich
chaotische Angelegenheit und insofern wohl die werkgetreueste
Adaption, die man von einem Film erwarten konnte, der ein Budget von
150 Millionen Dollar wieder einspielen muss. Diverse Nebenplots
werden nicht richtig aufgelöst, die Geschichte wartet mit immer
wieder neuen, unerwarteten – vielleicht auch weil nicht allzu
sinnvollen – Twists auf, die Ausstattung ist ungemein kreativ und
die Schauspielleistungen, welche sich allesamt durch ihren herrlich
Deklamations-Stil auszeichnen, variieren in ihrer Qualität. Während
Johnny Depp in der Rolle des Barnabas, seinem Idol aus Kindertagen,
aufblüht und Eva Green und Jackie Earle Haley – Letzterer als
ebenso zwielichtiger wie einfältiger Hausmeister – sichtlich Spass
an ihren Figuren haben, verblassen Johnny Lee Miller und Bella
Heathcote. Als Ausgleich zu den weniger mitreissenden Darbietungen
bietet Dark Shadows jedoch zwei äusserst amüsante
Gastauftritte: einerseits den 90-jährigen Christopher Lee als
Meisterangler A.D., andererseits den Rocker Alice Cooper als sich
selbst (Barnabas: "Ugliest woman I've ever seen"). In
Sachen Humor wiederum pendelt der Film ständig zwischen
schwarzhumorig-absurd und infantil-abgedroschen. Auf hintergründige
Anspielungen auf Klassiker der Horrorgenres-Historie, seien sie
cineastischer – Nosferatu, eine Symphonie des Grauens –
oder literarischer – The Fall of the House of Usher –
Natur, folgen eher laue Gags über Sex.
Die Hexe Angelique (Eva Green) terrorisiert das von Barnabas' Familie gegründete Städtchen Collinsport auch nach 200 Jahren noch. |
Letztendlich aber ist es beruhigend zu wissen, dass es im Zeitalter
von Ironie und Zynismus noch Regisseure wie Tim Burton und Filme wie
Dark Shadows gibt. Mit hemmungslosem, ja fast schon kindlichem
Enthusiasmus gibt sich Burton seinem Thema hin und zelebriert mit
sichtbarer Aufrichtigkeit – dem sich in The Avengers
altmodischem Heroismus verschreibenden Joss Whedon nicht
unähnlich – die wunderbare Welt des TV-Camps, wie er in Curtis'
Serie zu sehen war. Insofern ist der Streifen wohl die kongeniale
Verfilmung des Originals, wenn auch nicht ein perfekter Film. Er
offeriert ein Stelldichein von Geistern, Vampiren, Zauberern und
Werwölfen, und es gelingt ihm tatsächlich, wie eine Fernsehsendung
zu wirken, deren Episoden von Tag zu Tag zusammengeschustert werden.
Und das ist im besten Sinne gemeint.
★★★
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