Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Der Brite Terence Davies lässt in seinem neuen Film zwei scheinbar
angestaubte Genres aufeinandertreffen: das Liebesdrama und die
Theateradaption. Seine Terence-Rattigan-Verfilmung The Deep Blue
Sea ist eine gepflegt inszenierte, wenn auch stellenweise etwas
behäbige Romanze.
Im London der späten Vierziger- oder frühen Fünfzigerjahre – der
Film schweigt sich über das genaue Datum aus – trifft die
verheiratete Hester (Rachel Weisz) Vorbereitungen zum Selbstmord: Sie
schluckt Tabletten, sie dichtet den Raum ab, sie schaltet das Gas
ein. Wie konnte es dazu kommen, dass eine privilegierte Frau wie sie,
Lady Collyer, Gattin des angesehenen Richters William Collyer (der
glänzende Simon Russell Beale), des Lebens müde wurde? Der Grund
ist der junge Freddie (Tom Hiddleston), in den sie sich unsterblich
verliebt hat. Die Liebe bleibt aber unerfüllt, da William nicht in
die Scheidung einwilligt und Freddie, der immer noch seiner
Kriegserfahrung – er kämpfte als Pilot bei der Schlacht um England
– nachhängt, Hesters Leidenschaft nicht gerecht werden kann.
Der Begriff "klassisches Hollywoodkino" hat viele Konnotationen:
Für die einen evoziert es Film Noirs wie The Maltese Falcon
oder Double Indemnity; andere denken an filmische Meilensteine
wie Casablanca oder Gone with the Wind; wieder anderen
fallen die unzähligen mit niedrigem Budget gedrehten
Technicolor-Melodramen ein. Letztere sind vor allem mit dem Namen
Douglas Sirk – eigentlich Hans Detlef Sierck – verbunden, Vorbild
von Filmemachern wie Rainer Werner Fassbinder oder Pedro Almodóvar,
Regisseur von Werken wie Magnificent Obsession oder All That
Heaven Allows, auf dem Fassbinders Angst essen Seele auf
lose basiert. In The Deep Blue Sea, einer Adaption von Terence
Rattigans gleichnamigem Bühnenstück aus dem Jahr 1952, eifert
Terence Davies (The House of Mirth) nun dem grossen Sirk nach.
Oder er versucht es zumindest. Mit satten Farben, ausladender Musik
und getragener Inszenierung gelingt es Davies, die Dreiecksbeziehung
Hester-Freddie-William sehr stimmig einzufangen. Das Ganze ist
grandios arrangiert – grosses Lob an Kameramann Florian Hoffmeister
– und durchsetzt von Szenen purer Schönheit; unvergesslich die
lange Kamerafahrt durch die zum Bunker umfunktionierte
U-Bahn-Station. Zudem liefert die minimalistisch agierende und
dadurch maximale Wirkung erzielende Rachel Weisz wohl ihre beste
Performance seit The Constant Gardener (2005, Oscar) ab, was
dem Zuschauer etwas über die Blässe ihres Gegenübers Tom
Hiddleston hinweg hilft.
Eingeengte Beziehung: Hester (Rachel Weisz) und Freddie (Tom
Hiddleston) versuchen sich – entgegen den sozialen Konventionen –
zu lieben.
|
Bedauerlicherweise ist Davies als Autor weniger erfolgreich als in
der Rolle des Regisseurs. Zwar greift seine Verfilmung Rattigans
Ironie sowie die Anspielungen auf den Konflikt der Generationen und
die Konventionen im England der Nachkriegsjahre sehr elegant auf;
doch der Plot ist zu umständlich gestaltet, die beiden
Handlungsstränge zu unsauber miteinander verknüpft. Es reihen sich
Szenen aneinander, welche nur bedingt korrelieren; der
Spannungsaufbau einer Sequenz läuft ins Leere; die abgehackte
Erzählung mag nicht so richtig zur elegischen Geschichte passen. So
bleibt The Deep Blue Sea eine inhaltlich nur zum Teil
überzeugende Angelegenheit. Davies bietet einen thematisch
spannenden Film von höchstem ästhetischem Wert, dem letztendlich
die Stringenz – etwa die eines Douglas Sirk – fehlt.
★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen