Im
Nordosten Afrikas, irgendwo zwischen dem Sudan und Somalia, liegt der
kleine, aber glorreiche, Wüstenstaat Wadiya, regiert von Admiral
General Aladeen (Sacha Baron Cohen). Zum Wohle seines Volkes baut er
die Atombombe – Mahmoud Ahmadinejad, der wie ein "Spitzel aus
Miami Vice"
aussieht, hat ja immerhin auch eine –, er leistet sich jeden Luxus,
empfängt Starlets wie Megan Fox (ein sympathisch selbstironischer
Gastauftritt) in seinen Gemächern und lässt reihenweise Menschen
umbringen. Diese Zustände rufen die UNO auf den Plan, die den
Potentaten dazu zwingen wollen, einen Vertrag zu unterzeichnen, durch
den sich Wadiya über Nacht zur Demokratie wandeln würde. In New
York angekommen, wird Aladeen von einem Auftragskiller (John C.
Reilly), angeheuert von seinem Sekretär und Onkel Tamir (Ben
Kingsley), entführt und rasiert. Ohne Bart und Unterwäsche irrt der
gefallene Diktator nun zum UNO-Hauptquartier, wo er mitansehen muss,
wie Tamir an seiner Statt der Welt ein Double vorführt. Mit der
Hilfe der unverbesserlichen Weltverbessererin Zoe (Anna Faris) plant
Aladeen nun, die Macht wieder an sich zu reissen.
Beginnt eine amerikanische Produktion mit der Widmung "In Loving
Memory of Kim Jong-il", dann verspricht dies einen äusserst
provokanten Film, der vor keinem Tabu Halt macht. Dass dies auf The
Dictator zutrifft, lässt sich kaum abstreiten. Sacha Baron Cohen
und Larry Charles sowie die Co-Autoren Alec Berg, David Mandel und
Jeff Schaffer lassen sich von den Grenzen des guten Geschmacks nicht
beeindrucken und brennen ein veritables Feuerwerk an gewagten, für
manchen Zuschauer sicherlich auch unangenehmen Witzen und Pointen ab.
Diese nehmen viele verschiedene Formen an. Mal entspannt sich Aladeen
bei einer gemütlichen Partie "Munich Olympics" auf seinem
Nintendo Wii – das Spiel beginnt mit dem Klopfen an der Tür der
israelischen Delegation; mal reflektiert er über die amerikanische
Weltmacht – "America! Built by the blacks, owned by the
Chinese!"; mal erschreckt er seinen Assistenten mit einem
abgeschlagenen Kopf; mal führt er, in der schwärzesten halben
Minute des Films, eine ausgedehnte Diskussion über Kinderpornografie
und Pädophilie. Sich in einer nach Ausrutschern von Prominenten
gierenden Welt über ein derart heikles Thema zu mokieren, verdient
nicht nur einen kathartischen Lacher, sondern auch Respekt.
Der grosse Führer des glorreichen Staates Wadiya: Admiral General Aladeen (Sacha Baron Cohen) vorher... |
Doch der humoristische Reiz von The Dictator erschöpft sich
nicht im Brechen geschmacklicher und sozialer Konventionen. Hinter
der für den Hauptdarsteller und den Regisseur (Religulous) so
typischen brachialen Provokation, die vielfach so wirkt, als wäre
sie um der Provokation Willen aufgefahren worden – und das muss
kein Vorwurf sein, denn das politisch Unkorrekte funktioniert nicht
zuletzt wegen seiner schieren Geschmacklosigkeit –, verstecken sich
durchaus harsche Anspielungen auf die Heuchelei westlicher
Wohlstandsnationen gegenüber "primitiveren" Staatsformen,
wobei Tamirs Ermahnung an Exxon, man solle beim Bohren nach Öl im
Meer nicht BPs Plattformen verwenden, noch die harmloseste ist. Der
Film malt das Bild einer verkommenen Welt, in der nicht nur der
mittelalterliche Aladeen und die ignoranten, hurrapatriotischen
Amerikaner zynisch, korrupt und intolerant sind, sondern auch der
Idealismus einer Zoe von ungesundem Radikalismus unterwandert ist.
Aber Baron Cohen wäre nicht er selber, wenn er diese rabenschwarze
Satire nicht parodistisch umsetzen und seine Opfer "lediglich"
der Lächerlichkeit preisgeben würde. Fazit der Farce scheint zu
sein: Die Welt ist ohnehin verrückt, da kommt es auf einen
durchgeknallten Diktator mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Letztendlich läuft das ganze Projekt – in Anlehnung auf sein
grosses Vorbild, Charlie Chaplins Meisterwerk The Great Dictator
– auf Aladeens grosse Rede vor der UNO hinaus, in welcher sich der
Kernsatz des Films, der ultimative Affront gegen die USA, vollständig
entfaltet. "Imagine America were a dictatorship...",
verkündet der Despot und zählt die Vorteile der Staatsform auf: Dem
obersten Prozent der Bevölkerung gehört das Land, Probleme können
willkürlichen Feindbildern angelastet werden und das Erklären von
Kriegen, selbst an die falschen Staaten, hat für die
Verantwortlichen keinerlei Konsequenzen.
Wer jedoch mit den bisherigen Filmen Baron Cohens vertraut ist,
weiss, dass sich sein Humor nicht auf die politische und verbale
Provokation beschränkt. Zum Einen wäre da seine Popularität unter
Schauspielkollegen, wodurch er seine Werke mit oftmals urkomischen
Cameo-Auftritten veredeln kann. Auch in The Dictator geben
sich, insbesondere während der ersten halben Stunde, viele bekannte
Gesichter, nicht unbedingt bekannte Namen, die Ehre. Neben Megan Fox
kommt auch Edward Norton zu seinen zehn Sekunden Screentime;
ausserdem agieren TV-Protagonisten wie Fred Armisen (Saturday
Night Live), Chris
Parnell (30 Rock)
und Aasif Mandvi (The
Daily Show) sowie zu
selten gesehen Nebendarsteller wie Fred Melamed (A
Serious Man), Adeel Akhtar (Four Lions) und Chris
Elliott (Groundhog
Day). Selber glänzt
Baron Cohen als Aladeen, trotz, oder gerade wegen, seiner
himmelschreienden Künstlichkeit: Bart, Akzent, und reales Vorbild
sind ebenso variabel wie nicht überzeugend, was aber im Kontext des
Films hervorragend funktioniert.
...und nachher: Aladeen nach seiner Entthronung, mit der New Yorker Idealistin Zoe (Anna Faris). |
Zum Andern wird The
Dictator, wie schon
Ali G Indahouse,
Borat
und Brüno,
seinem Potential nicht gerecht. Denn wie schon in den vorangegangenen
Werken wird auch hier dem allzu profanen Humor zu viel Platz
eingeräumt. Der beste Seitenhieb auf Zoes verdrehtes
Rassismus-Verständnis ("I haven't had a white boyfriend since
high school!") muss an Kraft verlieren, wenn kurz darauf ihre
unrasierten Achselhöhlen zum komödiantischen Element erhoben
werden. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Sacha Baron Cohen ein
Freund der masslosen Übertreibung ist; doch seine Vorliebe für Sex-
und Fäkalwitze, die hier leider im Überfluss vorhanden sind, hat
noch keinen seiner Filme besser gemacht. Diese Intermezzi sind dann
auch der Grund, warum The
Dictator eine
unausgeglichene Angelegenheit ist, eine, welche stets zwischen
grossartigen und fast schon ärgerlich banalen Witzen pendelt.
Schlussendlich ist das vierte
Langspielfilm-Projekt Baron Cohens aber eine grundsätzlich trotzdem
befriedigende Erfahrung. Der Weg zur finalen Rede ist dank nur 80
Minuten Laufzeit sehr kurzweilig, stellenweise ungemein amüsant, dem
zu zahlenden Preis der flachen Sexwitze zum Trotz. The
Dictator ist eine
bitterböse Satire unter dem dümmlichen Mäntelchen des Fäkalhumors.
★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen