Ein Grundgedanke vieler Religionen, insbesondere der christlichen,
ist der Glaube, dass ein Mensch mittels Konvertierung auf den
"rechten Weg" geführt werden kann, dass er Gott und das
Gute annimmt und das Böse zu überwinden versucht.
Dennoch dürfte die verblüffende Geschichte des Amerikaners Sam
Childers ein Unikum sein. Über das Christentum fand das einstige
Hells-Angels-Mitglied eine neue Aufgabe. Seit 1998 kümmert er sich
im ugandisch-sudanesischen Grenzgebiet um verwaiste Kinder auf der
Flucht vor den Terroristen der "Lord's Resistance Army".
Marc Forster verfilmte Childers' Leben, basierend auf dessen
Autobiografie Another Man's War, in Machine Gun Preacher,
einem Film, der den Spagat zwischen Action- und Kriegsfilm und
inspirierendem, von leisen propagandistischen Anklängen begleitetem,
christlichem Biopic versucht. Das Resultat ist ein Streifen so
widersprüchlich wie Sam Childers selbst.
Sam (Gerard Butler) ist alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse.
Frisch aus dem Gefängnis entlassen, konsumiert er mit seinem Kumpel
Donnie (Michael Shannon) schon wieder harte Drogen und schreckt auch
vor Messerstechereien und Raubüberfällen nicht zurück. Als er
erfährt, dass eines seiner Opfer an seinen Wunden gestorben ist,
lässt er sich von seiner Frau, der zum Christentum bekehrten
Ex-Stripperin Lynn (Michelle Monaghan), dazu überreden, zur Messe
mitzukommen. Nach einigem Zögern lässt er sich taufen und beginnt
ein neues Leben als Chef einer Baufirma. Doch sein Wille, anderen
Menschen zu helfen, ist damit noch nicht gestillt. Der Besuch eines
in Uganda missionarisch tätigen Pastors beim sonntäglichen
Gottesdienst ermutigt Sam dazu, ebenfalls nach Afrika zu fliegen, wo
er sich mit dem Soldaten Deng (Souléymane Sy Savane) anfreundet. Er
beginnt sich für die politische und soziale Situation zu
interessieren und begibt sich auch in den vom Krieg gezeichneten
Südsudan. Er gründet die Organisation "Angels of East Africa,
Children's Village in South Sudan" und baut ein Waisenhaus für
Kinder, welche Opfer der Gewalt der LRA-Käpfer geworden sind. Dies
bringt ihm nicht nur die Bewunderung des südsudanesischen
Friedenspolitikers John Garang (Fana Mokoena), sondern auch den Ärger
Konys ein. Die blutigen Angriffe der LRA bleiben aber nicht
ungesühnt: Sam, der sich zunehmend von Lynn und seiner Tochter Paige
(Madeline Carroll) distanziert, hat keine Hemmungen, auch zur Waffe
zu greifen.
Als der Film eigentlich schon vorüber ist, als neben Cast and Crew
auch Fotos und Filmaufnahmen der realen Protagonisten – Sam, Lynn,
Paige, Deng, Joseph Kony – zu sehen sind, als Chris Cornells für
einen Golden Globe nominierter Song "The Keeper" gespielt
wird, da wendet sich der echte Sam Childers, heute 50 Jahre alt, ans
Publikum: "If somebody you love is kidnapped and I said I could
bring them home to you, does it matter how I bring them home?"
Die Frage ist durchaus interessant, nicht zuletzt weil sie sogleich
eine weitere aufwirft: Kann Töten ein gerechtfertigtes Mittel zum
Zweck sein? Das Problem ist Jahrtausende alt und hat schon viele
grosse Philosophen beschäftigt. Doch leider ist dieses direkte Zitat
die einzige Annäherung an dieses gewichtigte ethische Dilemma, die
Machine Gun Preacher anbietet. Insofern illustriert diese
kurze Abspannsequenz eher, welche Chancen Regisseur Marc Forster und
Autor Jason Keller (Mirror Mirror) verpasst haben und wie
schwierig es ist, sich der Person Sam Childers zu nähern. Würde
dieser seine humanitären Bemühungen darauf beschränken, verwaisten
Kindern und verfolgten Müttern aus der sudanesischen Krisenregion
ein sicheres Zuhause zu geben, liesse sich darum herum problemlos
eine inspirierende Geschichte einer Vom-Saulus-zum-Paulus-Wandlung
konstruieren. Dass der ehemalige Hells Angel aber auch als Christ ein
praktizierender Waffenfan ist, verleiht der Angelegenheit eine recht
brisante Dimension, mit der Machine Gun Preacher nicht so
richtig umzugehen weiss.
Sam (Gerard Butler, links) und sein Kumpel Donnie (Michael Shannon) während einer handfesten Auseinandersetzung. |
Der Film bemüht sich, Sams Taufe im wörtlichen Sinne darzustellen –
als Wiedergeburt. Mit seiner Gottfindung fallen, wenn nicht alle, so
doch die meisten seiner schlechten Eigenschaften ab; er wird zum
rundum erneuerten Menschen, der allen helfen und niemanden mehr
verletzen will. Zwar wird diese Entwicklung vor allem auf der
mentalen Ebene etwas allzu rasch abgewickelt, doch wie sie sich
abspielt, ist relativ klar. Weniger klar ist, wie Sam dazu kommt,
sich über das sakrosankte sechste Gebot hinwegzusetzen und anfängt,
gegen die LRA-Schergen paramilitärisch vorzugehen. Dieser ebenso
wichtige wie nachvollziehbare Schritt wird von Keller etwas unter den
Teppich gekehrt und auf unbeholfene Art und Weise mit einer
Glaubenskrise verbunden. Nach und nach beginnt Sam, der trotz
unsteter Charakterzeichnung von Gerard Butler sehr gut verkörpert
wird, die amerikanische Konsumgesellschaft anzuprangern – wobei er
von einigen überaus prätentiösen Schnitten unterstützt wird –
und in der von ihm gebauten Kirche in Pennsylvania Hilfe anzufordern.
Er verwandelt sich in einen jener religiösen Extremisten, die er in
Afrika bekämpft. Dieses Paradox vermag Keller nie ganz aufzulösen;
die Bewertung der gewaltsamen Seite seines Einsatzes bleibt aus;
selbst die ethischen Fragen, bei denen beide Seiten überlegenswerte
Argumente hätten, werden nicht konsequent gestellt. Vielmehr bemüht
sich der Film, keine religiösen Gefühle zu verletzen: Sams
Radikalisierung wird mit einem "I don't feel God anymore"
abgetan; Religiosität triumphiert über eine mögliche rationale
Auseinandersetzung mit dem Thema.
Überhaupt ist es Kellers Drehbuch, welches die Qualität von Machine
Gun Preacher deutlich
beeinträchtigt. Dem Ganzen mag ein guter Rhythmus unterlegt sein –
Forsters über weite Strecken solide Regie hilft dabei –; trotzdem
strapazieren die vielen Auslassungen und abrupten Zeitsprünge die
Glaubwürdigkeit des Erzählflusses. So nehmen etwa Sams Entzug oder
der Bau einer Kirche nur einige Sekunden in Anspruch. Auch die
Dialoge, die Keller als Theaterautor eigentlich beherrschen sollte,
entbehren stellenweise jeglichen Realismus; das zehnjährige
Flüchtlingskind, das in der Manier einer mehr als doppelt so alten
Person philosophiert, wirkt sich da besonders negativ aus. Das
vermittelte Weltbild schliesslich fällt primär durch seine
vereinfachten Parolen auf, besonders dann, wenn Religion zum Thema
erhoben wird. Das Amerika in Machine
Gun Preacher ist in
gläubige, gutbürgerliche Mittelständler und gewalttätige
Drogenabhängige geteilt; die von einer eher eindimensionalen
Michelle Monaghan gespielte Lynn hat ihre Arbeit als Stripperin
anscheinend nur deshalb aufgegeben, weil sie damit den Werten Gottes
zuwiderhandelte. Doch es ist auch das LRA-Problem, welches
enttäuschend oberflächlich angegangen wird – man erinnere sich an
die umstrittene "Kony 2012"-Kampagne – und von
Inkonsistenzen durchsetzt ist: Deng bezeichnet sich selbst als
"freedom fighter", denunziert andere Gruppen aber als
"Rebellen".
Der "Machine Gun Preacher" in seinem Element: Sam mit seinem neuen Freund Deng (Souleymane Sy Savane) im Sudan. |
Und doch ist Machine
Gun Preacher weniger
beleidigend, als sich denken liesse. Der Film hat sein Herz auf dem
rechten Fleck und profitiert von Sam Childers spannender Vita. Doch
mit seiner verwirrten Einstellung, den effekthascherischen
Actionsequenzen, deren Zweck es wäre, zu schockieren, und seinem
pädagogisch erhobenen Zeigefinger ist Forsters achte Regiearbeit
eine eher frustrierende Angelegenheit, ein Film, bei dem man sich
fragen muss, ob er denn wirklich nötig gewesen wäre.
★★
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