Mittwoch, 20. Juni 2012

Machine Gun Preacher

Ein Grundgedanke vieler Religionen, insbesondere der christlichen, ist der Glaube, dass ein Mensch mittels Konvertierung auf den "rechten Weg" geführt werden kann, dass er Gott und das Gute annimmt und das Böse zu überwinden versucht. Dennoch dürfte die verblüffende Geschichte des Amerikaners Sam Childers ein Unikum sein. Über das Christentum fand das einstige Hells-Angels-Mitglied eine neue Aufgabe. Seit 1998 kümmert er sich im ugandisch-sudanesischen Grenzgebiet um verwaiste Kinder auf der Flucht vor den Terroristen der "Lord's Resistance Army". Marc Forster verfilmte Childers' Leben, basierend auf dessen Autobiografie Another Man's War, in Machine Gun Preacher, einem Film, der den Spagat zwischen Action- und Kriegsfilm und inspirierendem, von leisen propagandistischen Anklängen begleitetem, christlichem Biopic versucht. Das Resultat ist ein Streifen so widersprüchlich wie Sam Childers selbst.

Sam (Gerard Butler) ist alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, konsumiert er mit seinem Kumpel Donnie (Michael Shannon) schon wieder harte Drogen und schreckt auch vor Messerstechereien und Raubüberfällen nicht zurück. Als er erfährt, dass eines seiner Opfer an seinen Wunden gestorben ist, lässt er sich von seiner Frau, der zum Christentum bekehrten Ex-Stripperin Lynn (Michelle Monaghan), dazu überreden, zur Messe mitzukommen. Nach einigem Zögern lässt er sich taufen und beginnt ein neues Leben als Chef einer Baufirma. Doch sein Wille, anderen Menschen zu helfen, ist damit noch nicht gestillt. Der Besuch eines in Uganda missionarisch tätigen Pastors beim sonntäglichen Gottesdienst ermutigt Sam dazu, ebenfalls nach Afrika zu fliegen, wo er sich mit dem Soldaten Deng (Souléymane Sy Savane) anfreundet. Er beginnt sich für die politische und soziale Situation zu interessieren und begibt sich auch in den vom Krieg gezeichneten Südsudan. Er gründet die Organisation "Angels of East Africa, Children's Village in South Sudan" und baut ein Waisenhaus für Kinder, welche Opfer der Gewalt der LRA-Käpfer geworden sind. Dies bringt ihm nicht nur die Bewunderung des südsudanesischen Friedenspolitikers John Garang (Fana Mokoena), sondern auch den Ärger Konys ein. Die blutigen Angriffe der LRA bleiben aber nicht ungesühnt: Sam, der sich zunehmend von Lynn und seiner Tochter Paige (Madeline Carroll) distanziert, hat keine Hemmungen, auch zur Waffe zu greifen.

Als der Film eigentlich schon vorüber ist, als neben Cast and Crew auch Fotos und Filmaufnahmen der realen Protagonisten – Sam, Lynn, Paige, Deng, Joseph Kony – zu sehen sind, als Chris Cornells für einen Golden Globe nominierter Song "The Keeper" gespielt wird, da wendet sich der echte Sam Childers, heute 50 Jahre alt, ans Publikum: "If somebody you love is kidnapped and I said I could bring them home to you, does it matter how I bring them home?" Die Frage ist durchaus interessant, nicht zuletzt weil sie sogleich eine weitere aufwirft: Kann Töten ein gerechtfertigtes Mittel zum Zweck sein? Das Problem ist Jahrtausende alt und hat schon viele grosse Philosophen beschäftigt. Doch leider ist dieses direkte Zitat die einzige Annäherung an dieses gewichtigte ethische Dilemma, die Machine Gun Preacher anbietet. Insofern illustriert diese kurze Abspannsequenz eher, welche Chancen Regisseur Marc Forster und Autor Jason Keller (Mirror Mirror) verpasst haben und wie schwierig es ist, sich der Person Sam Childers zu nähern. Würde dieser seine humanitären Bemühungen darauf beschränken, verwaisten Kindern und verfolgten Müttern aus der sudanesischen Krisenregion ein sicheres Zuhause zu geben, liesse sich darum herum problemlos eine inspirierende Geschichte einer Vom-Saulus-zum-Paulus-Wandlung konstruieren. Dass der ehemalige Hells Angel aber auch als Christ ein praktizierender Waffenfan ist, verleiht der Angelegenheit eine recht brisante Dimension, mit der Machine Gun Preacher nicht so richtig umzugehen weiss.

Sam (Gerard Butler, links) und sein Kumpel Donnie (Michael Shannon) während einer handfesten Auseinandersetzung.
Der Film bemüht sich, Sams Taufe im wörtlichen Sinne darzustellen – als Wiedergeburt. Mit seiner Gottfindung fallen, wenn nicht alle, so doch die meisten seiner schlechten Eigenschaften ab; er wird zum rundum erneuerten Menschen, der allen helfen und niemanden mehr verletzen will. Zwar wird diese Entwicklung vor allem auf der mentalen Ebene etwas allzu rasch abgewickelt, doch wie sie sich abspielt, ist relativ klar. Weniger klar ist, wie Sam dazu kommt, sich über das sakrosankte sechste Gebot hinwegzusetzen und anfängt, gegen die LRA-Schergen paramilitärisch vorzugehen. Dieser ebenso wichtige wie nachvollziehbare Schritt wird von Keller etwas unter den Teppich gekehrt und auf unbeholfene Art und Weise mit einer Glaubenskrise verbunden. Nach und nach beginnt Sam, der trotz unsteter Charakterzeichnung von Gerard Butler sehr gut verkörpert wird, die amerikanische Konsumgesellschaft anzuprangern – wobei er von einigen überaus prätentiösen Schnitten unterstützt wird – und in der von ihm gebauten Kirche in Pennsylvania Hilfe anzufordern. Er verwandelt sich in einen jener religiösen Extremisten, die er in Afrika bekämpft. Dieses Paradox vermag Keller nie ganz aufzulösen; die Bewertung der gewaltsamen Seite seines Einsatzes bleibt aus; selbst die ethischen Fragen, bei denen beide Seiten überlegenswerte Argumente hätten, werden nicht konsequent gestellt. Vielmehr bemüht sich der Film, keine religiösen Gefühle zu verletzen: Sams Radikalisierung wird mit einem "I don't feel God anymore" abgetan; Religiosität triumphiert über eine mögliche rationale Auseinandersetzung mit dem Thema.

Überhaupt ist es Kellers Drehbuch, welches die Qualität von Machine Gun Preacher deutlich beeinträchtigt. Dem Ganzen mag ein guter Rhythmus unterlegt sein – Forsters über weite Strecken solide Regie hilft dabei –; trotzdem strapazieren die vielen Auslassungen und abrupten Zeitsprünge die Glaubwürdigkeit des Erzählflusses. So nehmen etwa Sams Entzug oder der Bau einer Kirche nur einige Sekunden in Anspruch. Auch die Dialoge, die Keller als Theaterautor eigentlich beherrschen sollte, entbehren stellenweise jeglichen Realismus; das zehnjährige Flüchtlingskind, das in der Manier einer mehr als doppelt so alten Person philosophiert, wirkt sich da besonders negativ aus. Das vermittelte Weltbild schliesslich fällt primär durch seine vereinfachten Parolen auf, besonders dann, wenn Religion zum Thema erhoben wird. Das Amerika in Machine Gun Preacher ist in gläubige, gutbürgerliche Mittelständler und gewalttätige Drogenabhängige geteilt; die von einer eher eindimensionalen Michelle Monaghan gespielte Lynn hat ihre Arbeit als Stripperin anscheinend nur deshalb aufgegeben, weil sie damit den Werten Gottes zuwiderhandelte. Doch es ist auch das LRA-Problem, welches enttäuschend oberflächlich angegangen wird – man erinnere sich an die umstrittene "Kony 2012"-Kampagne – und von Inkonsistenzen durchsetzt ist: Deng bezeichnet sich selbst als "freedom fighter", denunziert andere Gruppen aber als "Rebellen".

Der "Machine Gun Preacher" in seinem Element: Sam mit seinem neuen Freund Deng (Souleymane Sy Savane) im Sudan.
Und doch ist Machine Gun Preacher weniger beleidigend, als sich denken liesse. Der Film hat sein Herz auf dem rechten Fleck und profitiert von Sam Childers spannender Vita. Doch mit seiner verwirrten Einstellung, den effekthascherischen Actionsequenzen, deren Zweck es wäre, zu schockieren, und seinem pädagogisch erhobenen Zeigefinger ist Forsters achte Regiearbeit eine eher frustrierende Angelegenheit, ein Film, bei dem man sich fragen muss, ob er denn wirklich nötig gewesen wäre.

★★

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