Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Regiedebüts von Schauspielern gibt es wie Sand am Meer. Manche sind
gut, manche eher weniger. Doch nur selten vermag ein Neuling auf dem
Regiestuhl ein Werk von derart archaischer, roher Kraft abzuliefern,
wie dies Paddy Considine mit Tyrannosaur gelungen ist.
Der erste Eindruck, den man als Zuschauer vom Protagonisten, einem
arbeitslosen Witwer, erhält, ist denkbar schlecht. Joseph (Peter
Mullan) verlässt wutentbrannt ein Pub im englischen Leeds. Gerade
ist er bei einer Wette übers Ohr gehauen worden. Vor der Bar wartet
sein angebundener Hund, Bluey, auf ihn. Joseph packt die Leine und
schleift ihn hinter sich her; doch das Tier bewegt sich nicht schnell
genug, also tritt er ihm in die Rippen. Für Bluey ist das zu viel;
er stirbt noch in derselben Nacht. Joseph begräbt ihn am nächsten
Morgen; danach versucht er, in einer Bar die Trauer über den Tod
seines Kumpels zu ertränken. Doch da gehen ihm schon bald grölende
Halbstarke auf die Nerven. Um nicht erneut komplett auszurasten,
sucht er Schutz im Kleiderladen Hannahs (Olivia Colman), welche als
gute Christin anfängt, für ihn zu beten. Trotz Josephs rüder
Bemerkungen entwickelt sich zwischen den beiden in der Folge eine
Freundschaft, denn auch Hannah geht es nicht gut: Ihr Ehemann (Eddie
Marsan) schlägt und erniedrigt sie.
Das Risiko, welches Paddy Considine mit seinem ersten Langspielfilm
eingegangen ist, lässt sich allein anhand der Art und Weise, mit der
das Ganze ins Rollen gebracht wird, illustrieren: Der Hauptcharakter
tritt seinen Hund zu Tode, das ist Gift für die Zuschauerzahlen.
Gleichzeitig zeigt dieser harsche Einstieg aber auch Considines
Klasse. Die erschüttert nämlich nur sekundär wegen Blueys Tod. Im
Vordergrund steht Josephs sofortige Reue, die Verzweiflung über
seine Wut, die ihn seinen treuesten Freund gekostet hat. So lässt
sich schon nach wenigen Minuten erahnen, dass sich hinter dem
brutalen Äusseren des Protagonisten mehr verbirgt als auf den ersten
Blick sichtbar ist. Tyrannosaur porträtiert Joseph als ein von
Gewalt Getriebener unter vielen.
Im Zeichen der Gewalt: Joseph (Peter Mullan) in seinem Haus.
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"I'm
not a nice human being", sagt er. Doch wie Hannah ahnt auch der
Zuschauer, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. Considine inszeniert
seine zentrale Figur als erwachsene und verrohte Form der "Angry
Young Men" aus dem britischen New-Wave-Kino der frühen
Sechzigerjahre – Marke Tony Richardson oder Lindsay Anderson –,
der immens unter diesem enormen Zorn leidet. Anders als jene Filme
jedoch ist Tyrannosaur weder allegorisch noch sonderlich
sozialkritisch. Er gewährt einen fesselnden Einblick in das Leben
zweier gebrochener, kaputter Menschen, welche beide Halt beim jeweils
Anderen suchen. Erik Wilsons Kamera ist nah an den Gesichtern, in
denen sich tiefe Traurigkeit und Desillusionierung widerspiegeln.
Olivia Colman brilliert als scheinbar perspektivlose, sich selber in
ihrer Apathie hassende Christin und ist eine würdige Ergänzung zur
Urgewalt Peter Mullan, welcher mit einer unglaublichen Intensität
spielt. Ist er nun wütend oder zärtlich, etwa in seinen Szenen mit
dem kleinen Nachbarsjungen Sam (Samuel Bottomley), man fühlt mit ihm
– egal wie schwer es auch fallen mag.
Paddy Considines Debüt als Regisseur ist beileibe kein einfaches. Tyrannosaur ist ein düsteres und unerbittliches, aber eben
auch grenzenlos faszinierendes Charakterdrama. Zweifelsohne einer der
besten Filme dieses Jahres.
★★★★★
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