Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Viel wurde geschrieben über die "Reboot-Mania", die zurzeit in
Hollywood grassiert. Mit The Amazing Spider-Man etwa wird eine
Franchise neu aufgelegt, die erst vor fünf Jahren endete. Doch der
Film gibt dem Marvel-Studio Recht: Regisseur Marc Webb verbessert Sam
Raimis Originalserie mühelos.
Nach einem Einbruch in Mr. Parkers Büro sieht er sich gezwungen, mit
seiner Frau auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Den gemeinsamen
Sohn gibt das Paar in die Obhut von Onkel Ben (der grossartige Martin
Sheen) und Tante May (Sally Field), wo er zu einem intelligenten,
aber etwas schüchternen jungen Mann heranwächst. Peter (Andrew
Garfield) ist sein Name und an seine verschollenen Eltern denkt er
erst wieder, als er eines Tages auf die Aktentasche seines Vaters
stösst, die ihn in die Labore des Forschungsinstituts Oscorp führt.
Dort lernt er den einarmigen Dr. Curt Connors (Rhys Ifans) kennen,
der einst mit Mr. Parker nach einer Möglichkeit suchte, dem
menschlichen Körper die Kraft zu verleihen, sich selber zu heilen.
Auf seinem Rundgang durch das Labor wird Peter von einer speziell
gezüchteten Spinne gebissen, was unglaubliche Konsequenzen nach sich
zieht: Der Teenager verfügt plötzlich über enorme Kräfte,
übermenschliche Reflexe und ist in der Lage, Wände zu erklimmen.
Aus Peter Parker wird "Spider-Man", der durch die Strassen New
Yorks streift und Kriminelle dingfest macht. Dadurch bringt er aber
nicht nur sich selber, sondern auch Onkel und Tante sowie seine
Schulkameradin Gwen Stacy (Emma Stone) in Gefahr. Zudem hat sich Curt
Connors inzwischen durch einen Selbstversuch in eine riesige Eidechse
verwandelt und verfolgt einen düsteren Plan.
Hätte Sam Raimis Spider-Man-Trilogie (2002, 2004, 2007)
wirklich einen Reboot gebraucht? Darüber lässt sich streiten.
Immerhin hat die Franchise als Ganzes weltweit fast zweieinhalb
Milliarden Dollar eingespielt und erhielt von vielen Kritikern
grosses Lob. Rückblickend jedoch wirken Raimis Filme, obwohl
unterhaltsam, eher oberflächlich und albern und werden der Figur
Peter Parker/Spider-Man kaum gerecht. Entsprechend erfrischend wirkt
darum im Vergleich The Amazing Spider-Man. Marc Webb, der hier
nach der gehaltvollen romantischen Tragikomödie (500) Days of
Summer erst seinen zweiten Film inszeniert, und sein Autorenteam,
dem auch der renommierte Steve Kloves (Harry Potter, Teile eins
bis vier und sechs bis acht) angehört, nahmen die nötigen
Veränderungen gegenüber Raimis Versuchen vor und liefern einen
Streifen ab, welcher den 1962 von Steve Ditko und Stan Lee – der,
wie in jeder Marvel-Produktion, einen Cameo-Auftritt hat –
ersonnenen Spider-Man genau richtig angeht.
Riskanter Nebenjob: Peter Parker (Andrew Garfield) setzt seine neuen
Kräfte ein, um Verbrecher zu bekämpfen.
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Funktioniert im Reboot alles? Mitnichten. Der Humor wirkt teilweise
zu bemüht; von Rhys Ifans' Schauspiel ist man Überzeugenderes
gewohnt; die Mischung aus realistischer und
fantasievoll-futuristischer Welt hätte feinerer Ausarbeitung
bedurft; und die Entwicklung einer Beziehung ist Webb in seinem
Erstling besser gelungen. Andererseits aber macht The Amazing
Spider-Man vieles richtig: Bei Raimi übernahm Mary Jane – eine
klassische "Damsel in Distress" – die Rolle von Peters
romantischem Gegenpol; Webb benutzt die von Emma Stone hervorragend
gespielte Gwen Stacy, welche intelligenter und selbstständiger ist
als "MJ". Zudem löst ihre Mitwisserschaft um Peters Alter Ego
viele erzählerische Probleme der vorangegangenen Filme. Das Schema
von Pro- und Antagonist wird durch die anfängliche Freundschaft
zwischen Peter und Curt "Lizard" Connors angenehm differenziert;
die Kampfchoreografien sind dynamisch und mitreissend – auch wenn
das 3-D praktisch zwecklos ist –; James Horners Musikscore besticht
durch experimentelle Klänge; Webb lässt feine Anspielungen auf
Hitchcocks Rear Window einfliessen; die Idee, dass Spider-Man
für Peter eine Bürde darstellt, wird trefflicher gehandhabt als bei
Raimi; und Andrew Garfield ist ohne jeden Zweifel der überzeugendere
Hauptdarsteller, als es Tobey Maguire war.
The
Amazing Spider-Man wird derzeit primär deshalb von der Kritik
gescholten, weil es sich bei ihm um einen womöglich unnötigen
Reboot handelt. Als Film an sich aber ist Marc Webbs Zweitwerk ein
befriedigendes Coming-of-Age-Actiondrama, das der filmischen
Spider-Man-Franchise nicht nur ihre Würde zurückgibt, sondern auch
die richtigen Prioritäten setzt: Herz und Charaktere.
★★★
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