Sein Geschäft ist die Rinderzucht. Schon als Kind wurde Jacky
Vanmarsenille (Matthias Schoenaerts, der sich für die Rolle 27 Kilo
Muskelmasse antrainierte) in die illegalen Machenschaften der
limburgischen Landwirtschaft eingeführt. Den Tieren werden
Wachstumshormone und andere Steroide gespritzt; Einschüchterungen
und Preisabsprachen gehören zum Geschäft. Doch auch der hünenhafte
Jacky ist auf Drogen angewiesen. Seit er im Kindesalter seine Hoden
verlor, spritzt er sich Testosteron, nach dem er heute süchtig ist.
Als die Familie Vanmarsenille mit einem dubiosen Rindfleischhändler
aus Westflandern einen Handel eingeht, fühlt sich Jacky nicht mehr
wohl; er misstraut der mafiösen Rindfleisch-Connection, die mitunter
auch zwielichtige Wallonen ihre Drecksarbeit verrichten lässt. Eine
Schlüsselrolle bei den Flamen spielt der schweigsame Diederik
(Jeroen Percevall), die rechte Hand des mächtigen Händlers. Die
Angelegenheit spitzt sich dramatisch zu, als ein auf die Hormon-Mafia
angesetzter Polizist ermordet wird.
Michaël
Roskam eröffnet seinen Film mit prächtigen Breitbildaufnahmen der
Limburger Landschaft. Der Morgen dämmert, Vanmarsenilles Stimme ist
zu hören. Kurz darauf erhält die Stimme ein Gesicht und – fast
noch wichtiger – einen Körper. Jacky atmet schwer, sein Gang
könnte etwas sicherer sein, doch man möchte mit ihm nicht den Weg
kreuzen, wenn er wütend ist; äusserlich ist er ein Tier von einem
Mann, muskelbepackt und scheinbar immer am Rande eines Wutausbruchs,
ein Bulle, wie seine Zuchtrinder vollgespritzt mit Hormonen. Roskam
und Hauptdarsteller Matthias Schoenaerts, dessen Leinwandpräsenz
schlicht grossartig ist, schaffen es aber, in ihm einen durchaus
menschlichen, tragischen Kern zu finden, den er sich nicht einmal
selber eingesteht. Eine der gegen ihn und seine Geschäftspartner
ermittelnden Polizistinnen
folgt
dem persönlichen Motto "Zufälle gibts nicht"; dabei
beweist Jackys Leben das genaue Gegenteil. Wie wäre sein Leben
verlaufen, wenn er nicht an den aggressiven Sohn eines Drogenhändlers
geraten wäre? Was wäre geschehen, wenn er sich nicht mit der
flämischen Mafia angelegt hätte? Fragen, die der Film nicht
beantworten muss, weil sie letztendlich nebensächlich sind. Es sind
lediglich weitere Dimensionen in Jackys Kampf mit sich selber.
Ein Leben mit dem künstlich gestählten Körper: Jacky Vanmarsenille (Matthias Schoenaerts). |
Parallel
zu den Einzelschicksalen, auf die er in Bullhead
eingeht, inszeniert Roskam einen kompromisslosen, überaus brutalen
Krieg der Interessen, Banden und, provokativerweise, Ethnien. Die
Flamen tragen Schals von Club Brugge und fluchen über die Wallonen,
die Wallonen tragen Sportjacken von Standard Liège und fluchen über
die Flamen – "Diese Faschisten!" –, die Limburger
trauen beiden nicht über den Weg. Dabei vertraut Roskam auf die
Ästhetik der Siebzigerjahre, die Mise en scène erinnert an die
ausstatterische Meisterleistung Maria Djurkovics in Tinker
Tailor Soldier Spy:
viele Schatten, verrauchte Hinterzimmer, prominente Brauntöne. Man
wähnt sich in einem amerikanischen Mafia-Film des New Hollywood,
einem Werk wie Francis Ford Coppolas The
Godfather.
Und doch wird Flämisch und Limburger Dialekt gesprochen, was die
Illusion interessanterweise noch verstärkt; beides sind Sprachen,
die freimütig mit englischen Einschüben operieren. Dabei wird aber
auch offensichtlich, dass Roskams Qualitäten eher in seiner
virtuosen Regie denn in der Entwicklung einer Erzählung liegen. Die
Geschichte vermag ihre 124 Minuten Laufzeit nicht vollständig zu
rechtfertigen und das Wechselspiel zwischen Handlung und Rückblenden
in Jackys Kindheit sorgt für eine stellenweise allzu lose
Dramaturgie. Diverses wirkt zusammengewürfelt.
Dennoch
ist die Nomination für den Oscar vollauf verdient. Bullhead
orientiert
sich am klassischen Gangster-Kino des Kalten Krieges, stellt dessen
Konventionen aber auf den Kopf und interpretiert sie mit einem so
kaum je gesehenen Milieu, frisch wirkenden Figuren in bekannten
Konstellationen und einem speziell auf das Land Belgien
zugeschnittenen Subtext neu. Der Konflikt der Landesgruppen schwingt
im belgischen Film schon seit geraumer Zeit mit, doch noch selten war
das Porträt derart schonungslos, tief greifend, vernichtend – und
faszinierend.
★★★★
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