Das Rentner-Quintett, alle 70 und älter, bestehend aus Claude
(Claude Rich, 83), den Eheleuten Albert (Pierre Richard, 77) und
Jeanne (Jane Fonda, 74) sowie Annie (Geraldine Chaplin, 67) und Jean
(Guy Bedos, 78), kennt sich schon seit Jahrzehnten; ihre Freundschaft
dauert an, auch wenn mittlerweile alle den Beschwerden des Alters
ausgesetzt sind. Frauenheld Claude muss nach einem Herzinfarkt kürzer
treten und auf Schäferstündchen mit Prostituierten verzichten;
andernfalls droht ihm der Gang ins Altersheim. Gourmet Albert leidet
zunehmend an Alzheimer, die offene Akademikerin Jeanne erholt sich
von einem Krebsleiden, Annie erträgt ihr Alter nicht und
Politaktivist Jean sieht sich gezwungen, seinen geliebten
Demonstrationen fortan fern zu bleiben, da ihm sonst die
Lebensversicherung gekündigt wird. Nach einem Schwächeanfall von
Claude steckt dessen Sohn ihn tatsächlich in ein Pflegeheim,
woraufhin ihn seine Freunde "befreien". Gemeinsam wird
beschlossen, dass das Leben einfacher ist, wenn sie alle unter einem
Dach leben – unter demjenigen von Annie und Jean. Zusätzlich
quartiert sich auch der deutsche Ethnologie-Student Dirk (Daniel
Brühl) ein; er schreibt seine Dissertation über die Rolle der Alten
im modernen Frankreich.
Et
si on vivait tous ensemble? mag
auf einem Originaldrehbuch, geschrieben von Regisseur Stéphane
Robelin, beruhen; prominente filmische und literarische Bezugspunkte
lassen sich aber mühelos erkennen. Das Untersuchen von Dynamiken
unter alten Freunden scheint sich auf Cécile Telermans Tout
pour plaire zu berufen, auch
wenn hier die Protagonisten mehr als 30 Jahre älter sind; die Idee,
eine Gruppe von Rentnern und einen jungen Mann, dem die Funktion
eines Beobachters zukommt, zusammen in ein Haus ziehen zu lassen,
erinnert schwer an Deborah Moggbachs Roman These Foolish
Things, der Anfang 2012 von John
Madden unter dem Titel The Best Exotic Marigold Hotel
– wie Robelins Film mit schauspielerischem Hochadel besetzt –
verfilmt wurde. Doch am augenfälligsten scheint der Einfluss der
Filme Jean Beckers hervor. Becker, seit 1961 im Geschäft, Regisseur
von kleinen Wunderwerken wie Dialogue avec mon jardinier
oder La tête en
friche, ist zurzeit der
unbestrittene Meister des französischen Understatements; seine Filme
sind herzliche, oft komische Oden ans Einfache und Menschliche voller
philosophischer Anklänge. Diesem Ideal eifert Robelin in seinem
zweiten Langspielfilm beflissen nach, trifft aber die richtigen Töne
nicht immer.
Heiterkeit herrscht, auch im Alter: Die Freunde Jean (Guy Bedos, vorne), Albert (Pierre Richard, Mitte) und Claude (Claude Rich). |
Interessant
an Robelins Film ist die fast vollständige Auslassung der "normalen"
Gesellschaft. Et si on vivait tous ensemble? ist
ein Milieu-Kammerspiel; jüngere Akteure, Dirk ausgenommen, spielen
Nebenrollen: Ärzte, Umzugsmänner, Pfleger, Claudes besorgter Sohn.
Unter den WG-Bewohnern spielen sich aber auch ohne ein sich
einmischendes Umfeld Szenen von grosser emotionaler Kraft ab – die
lange letzte Einstellung ist ebenso rührend wie tragisch. Grossen
Anteil daran hat der Cast: Jane Fonda und Geraldine Chaplin gefallen
wie gewohnt; Claude Rich und Guy Bedos mögen die meisten Lacher auf
ihrer Seite haben, doch Komiker Pierre Richard behält auch als
Alzheimerkranker seinen typischen Schalk bei, spielt aber, wenn es
darauf ankommt, gross auf; in Alberts verwirrtesten Momenten scheint
er sich an Nigel Hawthornes Darbietung in The Madness of
King George zu orientieren. Als
grösste Überraschung erweist sich Daniel Brühl. Zwar fällt seine
Rolle vergleichsweise klein aus, doch mit seiner Darbietung – wohl
seiner besten seit Good Bye Lenin!
– vermag er ihr eine ungeahnte Tiefe zu verleihen.
Vereint in der Rentner-WG (v.l.): Annie (Geraldine Chaplin), Jean, Claude, Student Dirk (Daniel Brühl), Albert und Jeanne (Jane Fonda). |
★★★
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