Am 1. Dezember 1935 wurde Allan Stewart Konigsberg in New York
geboren. Seinen Eltern, Nettie (1906–2002) und Martin (1900–2001)
fiel er in frühen Jahren als lebhaftes, aktives, äusserst
glückliches Kind auf. Doch im Alter von fünf Jahren, so geht die
Anekdote, erfuhr das Kind von der Endlichkeit des Lebens. Erschlagen
von der schieren Unfairness dieses Systems, änderte es seine
Lebenseinstellung und wurde "grumpy and bitter", ganz seinem
späteren komischen Alter Ego, welches in Annie Hall (1977)
etwa das Leben in die Kategorien "Miserable" und "Horrible"
einteilt. Filmemacher Weide lässt Freunde, Weggefährten,
Arbeitskollegen und auch Woody Allen selbst zu Wort kommen und
rekonstruiert den Werdegang des Meisters vom anonymen Gagschreiber
zum scheuen Stand-Up-Comedian zum Theater- und Filmautoren zum
international gefeierten Regisseur.
Die stringente Chronologie dieser Entwicklung fällt in Woody
Allen: A Documentary zwar mehrmals einer Assoziation oder
Ähnlichem zum Opfer – auch ist die 115-minütige Laufzeit wohl
etwas üppig bemessen –, doch der Film zelebriert seine Hauptfigur
in bester Dokumentarfilm-Manier. Martin Scorsese beschreibt Allen als
ein Unikum, als jemanden, der das Kunststück vollbrachte, fast fünf
Jahrzehnte lang nicht nur aktiv zu bleiben, sondern seine Beliebtheit
in dieser Zeit zu behalten und immer wieder aufs Neue zu
rechtfertigen. Dementsprechend inszeniert Weide die Karriere Allens,
vor allem während der ersten 45 Minuten des Films, auch als Spiegel
einer ganzen Epoche; er findet in seinem Thema eine Parabel für die
Geschichte der amerikanischen Nachkriegsunterhaltung. Woody Allen
führt den Zuschauer durch seine alte Brooklyner Nachbarschaft ("This
is the house I grew up in. It doesn't look like much but... it
wasn't"), wobei der ehemalige Standort des lokalen Filmtheaters
natürlich nicht fehlen darf. Die Agenten Jack Rollins und Charles
Joffe (gestorben 2008) sowie Kritiker wie der immer gern gesehene
Leonard Maltin verweisen auf den kulturellen Mikrokosmos Greenwich
Village im New York der Fünfziger- und Sechzigerjahre, von wo aus
Allen den Sprung ins nationale Fernsehen schaffte; und sie
interpretieren Annie Hall als eine veritable Revolution im
Genre der Komödie.
Mit Leib und Seele Regisseur und Komiker: Woody Allen auf dem Set von Sleeper. |
Es sind diese Exkurse, die den Film dermassen faszinierend machen.
Veredelt wird die Dok durch die Fülle von Gesprächsgästen, zu
denen auch Chris Rock, Martin Landau, Kameramann Gordon Willis und
sogar Robert Lauder, ein katholischer Pfarrer, gehören; durch die
feinen Details; durch die reichhaltigen Filmclips, die, in den
richtigen Kontext gestellt, die gängige Meinung zu diesem und jenem
Werk herausfordern – etwa die viel gescholtenen Experimente Interiors (1978), ein an Ingmar Bergman angelehntes Drama, und Stardust Memories (1980), eine zynische Farce nach Fellini –;
und durch die Anwesenheit des Meisters selbst. Woody Allen: A
Documentary zeigt, dass dieser auch mit 76 Jahren noch nichts von
seinem schlagfertig-selbstkritischen Humor und seiner Intelligenz
eingebüsst hat – siehe seine treffende Einschätzung, seine
Komödien, speziell Manhattan (1979), den er eigentlich gar
nicht mag, würden dem Prinzip der "ausländischen" Komödie
folgt. Eine hervorragende Dokumentation, die dem grossen
Komiker/Filmemacher/Stadtneurotiker vollauf gerecht wird.
★★★★
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