Als 2005 die Welt dem Kinostart von
Batman Begins
entgegenfieberte, dem ersten Wiederbelebungsversuch der
Batman-Franchise seit Joel Schumachers katastrophalem
Batman &
Robin, machte unter Kritikern eine Nachricht von Warner Bros. die
Runde. Das Studio verbat sich jeglichen Versuch, Christopher Nolans
Neuanfang inhaltlich mit den früheren Einträgen Schumachers und Tim
Burtons in Verbindung zu bringen; die Vision des Engländers sollte
unabhängig und einzigartig sein. Und nun, sieben Jahre, drei Filme,
zwei Oscars und fast zwei Milliarden Dollar Umsatz später, zeigt
sich, dass diesem Anspruch Genüge getan wurde. Der chaotische, in
jederlei Hinsicht überbordende
The
Dark Knight Rises,
obwohl der schwächste Teil der Trilogie, ist ein Serienabschluss
nach Lehrbuch.
Acht Jahre sind vergangen, seit der geachtete Staatsanwalt Harvey
Dent ob des Todes seiner Freundin Rachel den Verstand verlor und als
Bösewicht Two Face mehrere Menschen ermordete. Der "dunkle
Ritter" Batman (Christian Bale) konnte ihn stoppen, indem er ihn
tötete. Doch da Gotham City nach den Verbrechen des Jokers einen
"weissen Ritter" wie Harvey nötiger hatte als einen
maskierten Rächer, übernahm Batman die Verantwortung für die
Dent-Morde und verschwand im Untergrund. Die Wahrheit kennen
lediglich er selbst und Polizei-Commissioner James Gordon (Gary
Oldman). Seitdem lebt Bruce Wayne alias Batman ein zurückgezogenes
Leben in seiner einsamen Villa; er überlässt seine Firma ihrem
Schicksal; er zelebriert sein Playboy-Image nicht mehr; seine
Superhelden-Ausrüstung lagert unangetastet in seiner unterirdischen
Höhle; und sein treuer Butler Alfred (Michael Caine) weist jeden
Besucher ab. Bruce trauert immer noch um seine geliebte Rachel, was
ihm jeglichen Ansporn raubt. Doch als Gotham City plötzlich vom
maskierten Terroristen Bane (der beeindruckend aufspielende Tom
Hardy, dessen ursprünglich nur schwer verständliche Grummelstimme
ein wenig unbeholfen nachvertont wurde) attackiert wird, scheint die
Zeit für die Rückkehr des dunklen Ritters gekommen. Unterstützung
erhält Batman dabei von der eigensinnigen Meisterdiebin Selina Kyle
alias Catwoman (Anne Hathaway) und dem jungen Polizisten John Blake
(Joseph Gordon-Levitt).
Das Kreuz, welches der letzte
Teil von Christopher Nolans Batman-Trilogie zu tragen hat, ist von
beträchtlichem Gewicht. The
Dark Knight Rises –
der Filmtitel wird
noch lange an den 20. Juli 2012 gekettet sein, an das Massaker in
Aurora bei Denver, als bei einer Mitternachtspremiere des Films zwölf
Kinogänger den Tod fanden. "Die Unschuld ist weg", schloss
der SPIEGEL. Hat Nolans Leitmotiv des Chaos, welches auch schon durch
Batman Begins und
The Dark Knight
geisterte und nun im
Serienfinale vollendet wird, seinen Weg von der Leinwand in die
Realität gefunden? Im Batman-Universum vergiftet ein fatalistischer
Sektenführer den Wasservorrat einer parabelhaften Stadt, ein
hochintelligenter Irrer mit Clownschminke hetzt die Bewohner jener
Stadt gegeneinander auf, ein hünenhafter Terrorist will sie mittels
nuklearem Sprengkopf dem Erdboden gleichmachen, um der wild
wuchernden Dekadenz endlich ein Ende zu setzen. Ein 24-jähriger
Neurowissenschaftler ohne Vorstrafen färbt sich die Haare orange,
besorgt sich ein kleines Waffenarsenal, betritt einen Kinosaal in
einem Einkaufszentrum nahe der Hauptstadt Colorados und schiesst wild
um sich. The Dark
Knight Rises erhält
dadurch eine Tagesaktualität, die beunruhigender und unmittelbarer
ist als die politische Debatte, die sich unlängst an den Motiven des
Antagonisten Bane entzündet hat.
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Die Rückkehr des dunklen Ritters: Bruce Wayne (Christian Bale) schlüpft nach acht Jahren Abstinenz wieder ins Batman-Kostüm. |
Film und Attentat sind
miteinander insofern verbunden, als letzteres die grausame, traurige,
unnötige Bestätigung des düsteren Weltbildes ist, welches in den
drei Filmen kolportiert wurde: Die Welt ist verrückt geworden.
Nirgends ist dies so offensichtlich wie in The
Dark Knight Rises.
Bane tritt vor die Massen Gothams und ruft sie zur Revolution gegen
die Reichen und Schönen auf, gegen den kapitalistischen Zynismus,
dessen Existenz Nolan keinesfalls leugnet – im Gegenteil –, gegen
die Entmündigung der kleinen Leute. Vertreter der Hochfinanz, der
Industrie, der Polizei werden vor ein Tribunal gestellt – in einem
feinen Rückgriff auf Batman
Begins wird dieses von
Dr. Jonathan Crane alias Scarecrow (Cillian Murphy) geführt – und
im Schnellverfahren verurteilt. Banes Umsturz trägt Züge der
Occupy-Bewegung, doch der echte historische Präzedenzfall ist die
die französische Revolution; der proletarische Freiheitsgedanke wird
korrumpiert, pervertiert und in Tyrannei uminterpretiert – Bane ist
Gothams Robespierre. Der Niedergang der imposanten Metropole, schon
immer ein amerikanischer Mikrokosmos, beginnt aber nicht mit Banes
Machtergreifung, die von 9/11-Metaphorik durchsetzt ist: Häuser- und
Strassenzüge explodieren, ein Footballfeld – nicht aber die
Tribünen – sackt während eines Spiels in sich zusammen. Gotham
wirkt in diesem dritten Teil wie eine vom Joker erträumte Welt: Das
organisierte Verbrechen wurde durch den "Dent Act" quasi
ausgerottet, doch das friedliche Miteinander ist mehr Schein als Sein
– immerhin gründet es auf der Lüge von Harveys Unschuld –; es
herrscht eine Zweiklassengesellschaft, angeführt von korrupten
Offiziellen und mit dem Bösen paktierenden Opportunisten. Gotham ist
ein Chaos aus Wucher-Kapitalisten, Terroristen, heillos überforderten
Gesetzeshütern und apathischen Bürgern.
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Terrorist Bane (Tom Hardy) droht, Gotham City zu zerstören. |
Helden sind in dieser Welt rar.
Es sind die Rollenmuster des klassisch amerikanischen Heroismus, die
hier den optimistischen Kontrapunkt zum pessimistischen Welt- und
Menschenbild setzen: Jim Gordon der prinzipientreue Sheriff, Alfred
die Vaterfigur, John der junge Idealist, Selina der Outlaw, Bruces
Freund Lucius Fox (Morgan Freeman) der verschmitzte Mitwisser. In
diesem Raster sind sogar Batmans Auftritte eher spärlich – wohl
auch, weil er von der Fülle an neuen Charakteren etwas an den Rand
gedrängt wird und seine Figur an sich fast wie ein Fremdkörper in
der auf hyperrealistisch getrimmten Geschichte wirkt. Tatsächlich
macht sich in The Dark
Knight Rises erstmals
bei Nolan das Gefühl bemerkbar, Batman sei das Produkt einer Reihe
von Bildergeschichten für Kinder, auch weil das Drehbuch, verfasst
von den Nolan-Brüdern Christopher und Jonathan, ungewohnte Schwächen
aufweist. Die relativ geradlinige, aber deutlich zu lang ausgefallene
Geschichte ist durchsetzt von kitschigen Momenten, allzu
offenkundiger Exposition, skizzenhaften Liebesgeschichten und
hölzernen Dialogen. Zugleich aber erweisen sich die Nolans einmal
mehr als talentierte Geschichtenerzähler mit einem Flair für
Charakterentwicklung. So reüssieren sie etwa dabei, Alfred
zusätzliche Tiefe zu verleihen – ein Versuch, der für Joel
Schumacher kein gutes Ende nahm.
Zudem zeigt Nolan auch hier, dass er ein Regisseur mit einer
ausgeprägten und substantiellen Vision ist. Es gelingt ihm, das
Loch, welches Heath Ledgers charistmatischer Joker hinterlassen hat,
mit Tom Hardys Bane zu füllen, selbst wenn dieser seinem Vorgänger
nicht das Wasser reichen kann. Hardys intensive Darbietung wird durch
Kamera, Musik und Inszenierung ergänzt; Bane wird in Untersicht
gefilmt, er taucht plötzlich auf, er ist kein "wilder Hund"
wie der Joker, sondern eine stets gefasste, würdevolle,
brandgefährliche Präsenz. Und obwohl der ganze Film mit
herausragenden Momenten gespickt ist, erreicht Nolans Regie ihren
Höhepunkt im dritten Akt. Dann nämlich springt der Funke endgültig
über. Das letzte Gefecht, nicht nur des Films, sondern der Trilogie,
ist dann auch zweifellos der stärkste Teil des Films. Hier
verschmelzen das brillante Sounddesign, Hans Zimmers wie gewohnt
packender Score, Wally Pfisters famos geführte Kamera und die von
panischer Dringlichkeit angetriebene Geschichte zu einem
Musterbeispiel meisterhaften Filmemachens.
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Zwielichtige Gehilfin: Die Juwelendiedin Selina Kyle (Anne Hathaway) alias Catwoman steht Batman in seinem Kampf bei. |
The
Dark Knight Rises ist
ein Actionspektakel epischen Ausmasses. Dass dabei nicht alles
gelingt, nicht alle Aspekte so wunderbar ineinandergreifen wie bei
den beiden Vorgängern, war im Grunde abzusehen, muss der Film doch
einen Schlussstrich unter eine von Fans auf aller Welt sieben Jahre
lang fieberhaft mitverfolgte Serie ziehen. Diese Aufgabe löst er
bravourös: Rückblenden, Anspielungen und Rückgriffe schlagen die
Brücken zu Batman
Begins und
The Dark Knight;
das kompromisslos inszenierte, apokalyptische Chaos in Gotham City
schliesst den kraftvollen Subtext der Trilogie würdig ab. Dass in
der Realität diesem Chaos nicht wie im Film mit einer "simplen"
Heldentat Einhalt geboten werden kann, hat sich am 20. Juli 2012 in
Aurora in furchtbarer Art und Weise gezeigt. Doch auf dem
vorsichtigen Optimismus, der am Ende von The
Dark Knight Rises
anklingt, lässt sich aufbauen.
★★★