17 Jahre und zwölf Filme mussten vergehen, bevor Pixar, das zur Zeit
beste und bekannteste Animationsstudio der Welt, seinen reichen
Figurenkanon um eine weibliche Hauptfigur erweiterte. Doch das Warten
hat sich gelohnt: Obwohl sich die Irrungen und Wirrungen um Drehbuch
und Regie unmissverständlich bemerkbar machen, ist Brave eine
mitreissende Mittelalterfabel mit erfrischend feministischen Motiven.
In den von Legenden umrankten schottischen Highlands leben die Clans
der Macintoshs, der Dingwalls und der MacGuffins unter der Führung
von König Fergus (Stimme: Billy Connolly), Anführer der DunBrochs.
Dessen Tochter, die junge Prinzessin Merida (Kelly Macdonald), ist zu
einem temperamentvollen Teenager herangewachsen. Ihre Mutter, Königin
Elinor (Emma Thompson), erfüllt dies mit Sorge, denn diese versucht
schon seit einiger Zeit, ihre Tochter in eine feine Dame des
Hochadels zu verwandeln. Doch Merida kann die engen Kleider und die
"frauengerechten" Aktivitäten nicht ausstehen. Der
rothaarige Wildfang verbringt seine Zeit viel lieber damit, auf
seinem Pferd Angus durch Wälder und über Wiesen zu reiten und seine
Fähigkeiten als Bogenschützin unter Beweis zu stellen – sehr zu
Fergus' Stolz. Der Konflikt erreicht einen kritischen Punkt, als sich
die Prinzen Macintosh, MacGuffin und Dingwall in einem Wettstreit im
Bogenschiessen messen sollen, um zu entscheiden, welcher der drei der
Hand der holden Prinzessin von DunBroch würdig ist. Von der ihr
aufgezwungenen Passivität frustriert, nimmt Merida selber am
Wettbewerb teil und gewinnt ihn souverän. Elinor platzt darob
vollends der Kragen, woraufhin Merida in den Wald flüchtet und auf
eine Hexe (Julie Walters) trifft, die verspricht, ihr Schicksal
verändern zu können.
2011 war kein gutes Jahr für Pixar. Cars 2 spielte an den
Kinokassen zwar eine ansehnliche Summe ein, doch das Studio machte
erstmals Bekanntschaft mit einem überwiegend negativen Kritikerecho;
das als zu kindisch verschrieene Sequel war dann auch der erste
Pixar-Langspielfilm, der für keinen einzigen Oscar nominiert wurde.
Daher sollte das Folgewerk Brave nicht nur ein kritischer
Erfolg werden, sondern auch eine kleine Revolution innerhalb der
Firma einläuten: Ein Mädchen fungiert als Heldin, eine Frau sitzt
auf dem Regiestuhl. Schliesslich sollte jedoch nur eine der
angestrebten progressiven Premieren gelingen. Regisseurin Brenda
Chapman (The Prince of Egypt) wurde ihres Amtes enthoben und
durch Mark Andrews, der zuvor als Berater in Mittelalterdingen am
Projekt beteiligt war, ersetzt. Auch das Drehbuch sorgte unter den
Produzenten nicht für Einigkeit: Vier Leute, darunter Chapman und
Andrews, arbeiteten daran.
Keine Lust auf "frauengerechte" Aktivitäten: Prinzessin Merida (Stimme: Kelly Macdonald) ist eine meisterhafte Bogenschützin. |
Entsprechend ist Brave etwas unstet ausgefallen. Streitet sich
Merida mit Elinor, lässt sich die Handschrift einer Mutter dahinter
erkennen – so entstand die Idee für den Film; kämpft das Mädchen
mit Bären, glaubt man, den Kilt tragenden Hobby-Schwertkämpfer
Andrews ausmachen zu können. Trotz der scheinbaren Diskrepanz sind
jedoch beide Wesenszüge der Protagonistin optimal umgesetzt. Ihre
Beziehung zu Elinor und Fergus wird wunderbar eingefangen, die
Dialoge, in denen sich so mancher jüngere Kinogänger wiedererkennen
dürfte, wirken absolut lebensecht – "Mom! I'm not going to be
like you!". Und wenn Merida zur emanzipierten Actionheldin
mutiert, dann vermag ihr Abenteuer zu packen; ihre schiere Energie
wirkt mithilfe von Patrick Doyles authentischer Musik, der – wie
immer – fabelhaften Animation und der atemberaubend schönen
Szenerie ansteckend.
Gravierender sind die Diskrepanzen in Sachen Humor. Der Film wurde
von diversen Kritikern als "mehr DreamWorks als Pixar"
abgestempelt, was vielleicht ein wenig harsch ist. Selbst in seinen
schwächsten Momenten greift Brave nicht nach den
offensichtlichen Filmanspielungen, welche mitunter die Werke der
Konkurrenz – Shrek, Madagascar – zu überfluten
drohen. Vielmehr scheinen sich die Autoren an den jüngeren
Erzeugnissen Disneys zu orientieren; man vergisst oft, dass Pixar
seit 2006 Teil des Disney-Imperiums ist. Besonders der zweite Akt
enthält einfache, ja fast schon banale Witze, die man eher in einem
Film wie Meet the Robinsons oder Tangled erwarten
würde. Die viel gelobte Mühelosigkeit des Pixar-Humors macht sich
in gewissen Szenen des Mittelteils tatsächlich rar. Auch hätte auf
die drei aufmüpfigen kleinen Brüder Meridas verzichtet werden
können, da diese kaum etwas zur Geschichte beitragen und – obwohl
sie kein Wort von sich geben – für einen nicht unerheblichen Teil
der allzu billigen Lacher verantwortlich sind.
Besorgte Eltern: König Fergus (Billy Connolly) und Königin Elinor (Emma Thompson) versuchen vergeblich, ihre Tochter in eine feine Dame zu verwandeln. |
Brave
ist wahrlich kein Film von der
meisterlichen Qualität von Toy Story,
The Incredibles,
Ratatouille, WALL-E
oder Up. Und doch ist
er ein weiterer Beweis für die Klasse des Studios mit der Lampe.
Wenn die Witze treffen, dann bleibt beim Zuschauer kein Auge trocken
– nicht zuletzt dank grossartiger Stimmleistungen von Seiten Kelly
Macdonalds (No Country for Old Men),
Billy Connollys oder Julie Walters'. Reitet Merida in
halsbrecherischem Tempo durch die mittelalterlichen Highlands oder
nimmt sie den Kampf gegen den sagenumwobenen Monsterbären Mor'du
auf, dann fasziniert und begeistert dies. Erinnert sie sich an eine
Zeit, in der ihre Kommunikation mit Elinor noch nicht hauptsächlich
aus genervtem Stöhnen und wütenden Anschuldigungen bestand, berührt
dies.
So
ist Brave eben doch
viel mehr als bloss ein Abenteuerfilm, nämlich eine wunderschöne
Coming-of-Age-Parabel, die sich ebenso ernsthaft mit den Tücken des
Erwachsenwerdens auseinandersetzt wie mit dem Entdecken der eigenen
Identität. Kein Wunder, dass die Hauptfigur in mehrfacher Hinsicht
an Katniss Everdeen aus dem Hunger Games-Universum
erinnert. Merida verwehrt sich nicht nur dagegen, dass sie kein
Mitspracherecht bei der Auswahl ihres künftigen Ehemannes hat; sie
entscheidet sich auch dafür, vorerst gar keinen auszuwählen. Damit
zieht sie die Rebellion gegen das klassische weibliche Rollenmuster
noch einen Schritt weiter als üblich: Eine Frau kann sich ihren
Partner selber aussuchen, muss aber nicht. Sie muss sich nicht durch
ihre Beziehung zu einem Mann definieren. Ein Märchenfilm ohne
Liebesgeschichte. Brave indeed.
★★★★
Kann ich so unterstützen toller Film mit Disneyflair :D
AntwortenLöschenIch habe den Film am Dienstag Nachmittag gesehen und stimme zu: er ist fast restlos gelungen. Mein Sohn Miles (12) und meine jüngere Tochter Sara (6) und ich haben ihn alle auf unserer Weise genossen. Miles und ich haben verglichen: nicht ganz so toll wie "Hugo" aber besser als viele andere Filmen, die wir in den letzten Jahren gesehen haben.
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