Donnerstag, 9. August 2012

Brave

17 Jahre und zwölf Filme mussten vergehen, bevor Pixar, das zur Zeit beste und bekannteste Animationsstudio der Welt, seinen reichen Figurenkanon um eine weibliche Hauptfigur erweiterte. Doch das Warten hat sich gelohnt: Obwohl sich die Irrungen und Wirrungen um Drehbuch und Regie unmissverständlich bemerkbar machen, ist Brave eine mitreissende Mittelalterfabel mit erfrischend feministischen Motiven.

In den von Legenden umrankten schottischen Highlands leben die Clans der Macintoshs, der Dingwalls und der MacGuffins unter der Führung von König Fergus (Stimme: Billy Connolly), Anführer der DunBrochs. Dessen Tochter, die junge Prinzessin Merida (Kelly Macdonald), ist zu einem temperamentvollen Teenager herangewachsen. Ihre Mutter, Königin Elinor (Emma Thompson), erfüllt dies mit Sorge, denn diese versucht schon seit einiger Zeit, ihre Tochter in eine feine Dame des Hochadels zu verwandeln. Doch Merida kann die engen Kleider und die "frauengerechten" Aktivitäten nicht ausstehen. Der rothaarige Wildfang verbringt seine Zeit viel lieber damit, auf seinem Pferd Angus durch Wälder und über Wiesen zu reiten und seine Fähigkeiten als Bogenschützin unter Beweis zu stellen – sehr zu Fergus' Stolz. Der Konflikt erreicht einen kritischen Punkt, als sich die Prinzen Macintosh, MacGuffin und Dingwall in einem Wettstreit im Bogenschiessen messen sollen, um zu entscheiden, welcher der drei der Hand der holden Prinzessin von DunBroch würdig ist. Von der ihr aufgezwungenen Passivität frustriert, nimmt Merida selber am Wettbewerb teil und gewinnt ihn souverän. Elinor platzt darob vollends der Kragen, woraufhin Merida in den Wald flüchtet und auf eine Hexe (Julie Walters) trifft, die verspricht, ihr Schicksal verändern zu können.

2011 war kein gutes Jahr für Pixar. Cars 2 spielte an den Kinokassen zwar eine ansehnliche Summe ein, doch das Studio machte erstmals Bekanntschaft mit einem überwiegend negativen Kritikerecho; das als zu kindisch verschrieene Sequel war dann auch der erste Pixar-Langspielfilm, der für keinen einzigen Oscar nominiert wurde. Daher sollte das Folgewerk Brave nicht nur ein kritischer Erfolg werden, sondern auch eine kleine Revolution innerhalb der Firma einläuten: Ein Mädchen fungiert als Heldin, eine Frau sitzt auf dem Regiestuhl. Schliesslich sollte jedoch nur eine der angestrebten progressiven Premieren gelingen. Regisseurin Brenda Chapman (The Prince of Egypt) wurde ihres Amtes enthoben und durch Mark Andrews, der zuvor als Berater in Mittelalterdingen am Projekt beteiligt war, ersetzt. Auch das Drehbuch sorgte unter den Produzenten nicht für Einigkeit: Vier Leute, darunter Chapman und Andrews, arbeiteten daran.

Keine Lust auf "frauengerechte" Aktivitäten: Prinzessin Merida (Stimme: Kelly Macdonald) ist eine meisterhafte Bogenschützin.
Entsprechend ist Brave etwas unstet ausgefallen. Streitet sich Merida mit Elinor, lässt sich die Handschrift einer Mutter dahinter erkennen – so entstand die Idee für den Film; kämpft das Mädchen mit Bären, glaubt man, den Kilt tragenden Hobby-Schwertkämpfer Andrews ausmachen zu können. Trotz der scheinbaren Diskrepanz sind jedoch beide Wesenszüge der Protagonistin optimal umgesetzt. Ihre Beziehung zu Elinor und Fergus wird wunderbar eingefangen, die Dialoge, in denen sich so mancher jüngere Kinogänger wiedererkennen dürfte, wirken absolut lebensecht – "Mom! I'm not going to be like you!". Und wenn Merida zur emanzipierten Actionheldin mutiert, dann vermag ihr Abenteuer zu packen; ihre schiere Energie wirkt mithilfe von Patrick Doyles authentischer Musik, der – wie immer – fabelhaften Animation und der atemberaubend schönen Szenerie ansteckend.

Gravierender sind die Diskrepanzen in Sachen Humor. Der Film wurde von diversen Kritikern als "mehr DreamWorks als Pixar" abgestempelt, was vielleicht ein wenig harsch ist. Selbst in seinen schwächsten Momenten greift Brave nicht nach den offensichtlichen Filmanspielungen, welche mitunter die Werke der Konkurrenz – Shrek, Madagascar – zu überfluten drohen. Vielmehr scheinen sich die Autoren an den jüngeren Erzeugnissen Disneys zu orientieren; man vergisst oft, dass Pixar seit 2006 Teil des Disney-Imperiums ist. Besonders der zweite Akt enthält einfache, ja fast schon banale Witze, die man eher in einem Film wie Meet the Robinsons oder Tangled erwarten würde. Die viel gelobte Mühelosigkeit des Pixar-Humors macht sich in gewissen Szenen des Mittelteils tatsächlich rar. Auch hätte auf die drei aufmüpfigen kleinen Brüder Meridas verzichtet werden können, da diese kaum etwas zur Geschichte beitragen und – obwohl sie kein Wort von sich geben – für einen nicht unerheblichen Teil der allzu billigen Lacher verantwortlich sind.

Besorgte Eltern: König Fergus (Billy Connolly) und Königin Elinor (Emma Thompson) versuchen vergeblich, ihre Tochter in eine feine Dame zu verwandeln.
Brave ist wahrlich kein Film von der meisterlichen Qualität von Toy Story, The Incredibles, Ratatouille, WALL-E oder Up. Und doch ist er ein weiterer Beweis für die Klasse des Studios mit der Lampe. Wenn die Witze treffen, dann bleibt beim Zuschauer kein Auge trocken – nicht zuletzt dank grossartiger Stimmleistungen von Seiten Kelly Macdonalds (No Country for Old Men), Billy Connollys oder Julie Walters'. Reitet Merida in halsbrecherischem Tempo durch die mittelalterlichen Highlands oder nimmt sie den Kampf gegen den sagenumwobenen Monsterbären Mor'du auf, dann fasziniert und begeistert dies. Erinnert sie sich an eine Zeit, in der ihre Kommunikation mit Elinor noch nicht hauptsächlich aus genervtem Stöhnen und wütenden Anschuldigungen bestand, berührt dies.

So ist Brave eben doch viel mehr als bloss ein Abenteuerfilm, nämlich eine wunderschöne Coming-of-Age-Parabel, die sich ebenso ernsthaft mit den Tücken des Erwachsenwerdens auseinandersetzt wie mit dem Entdecken der eigenen Identität. Kein Wunder, dass die Hauptfigur in mehrfacher Hinsicht an Katniss Everdeen aus dem Hunger Games-Universum erinnert. Merida verwehrt sich nicht nur dagegen, dass sie kein Mitspracherecht bei der Auswahl ihres künftigen Ehemannes hat; sie entscheidet sich auch dafür, vorerst gar keinen auszuwählen. Damit zieht sie die Rebellion gegen das klassische weibliche Rollenmuster noch einen Schritt weiter als üblich: Eine Frau kann sich ihren Partner selber aussuchen, muss aber nicht. Sie muss sich nicht durch ihre Beziehung zu einem Mann definieren. Ein Märchenfilm ohne Liebesgeschichte. Brave indeed.

★★★★

2 Kommentare:

  1. Kann ich so unterstützen toller Film mit Disneyflair :D

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  2. Ich habe den Film am Dienstag Nachmittag gesehen und stimme zu: er ist fast restlos gelungen. Mein Sohn Miles (12) und meine jüngere Tochter Sara (6) und ich haben ihn alle auf unserer Weise genossen. Miles und ich haben verglichen: nicht ganz so toll wie "Hugo" aber besser als viele andere Filmen, die wir in den letzten Jahren gesehen haben.

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