Nur wenige Monate nach Roman Polanskis viel beachtetem Carnage
erscheint mit Le prénom eine weitere Kinoadaption eines
französischen Bühnen-Kammerspiels. Anders als Polanskis
provokant-sardonische Farce ist dieser ein Film im Stil der
klassischen gallischen Gesellschaftskomödie.
In einer schicken Pariser Stadtwohnung wollen gehobene Mittelständler
gemeinsam ein gemütliches Abendessen einnehmen. Hier die Gastgeber,
der streitbare Linksintellektuelle, Uniprofessor Pierre (Charles
Berling), und seine Frau Élisabeth (Valérie Benguigui), genannt
Babou, selber Banlieue-Primarlehrerin; dort das Yuppie-Ehepaar
Vincent (Patrick Bruel), Babous Bruder, und Anna (Judith El Zein),
schwanger im fünften Monat. Der Fünfte im Bunde ist Claude
(Guillaume de Tonquédec), ein kultivierter, stets ausgeglichener
Posaunist und seit Jahren treuer Freund von Élisabeth. Nacheinander
trudeln die Gäste ein, wobei Anna wegen einer Sitzung noch auf sich
warten lässt. Auf das Drängen der Anwesenden rückt Vincent aber
bereits mit dem Namen für seinen ungeborenen Sohn heraus: Mit einem "A" fängt der verhängnisvolle Vorname an und weckt die
Erinnerung an einen berüchtigten Diktator des Zweiten Weltkriegs.
Natürlich geht der Sozialist Pierre sogleich auf die Barrikaden und
versucht, seinem Schwager die Idee auszutreiben. Doch das Thema lässt
sich nicht aus der Welt schaffen und schon bald öffnen sich weitere
Gräben zwischen den Dîner-Gästen.
In Frankreich, dem Heimatland der Bourgeoisie, gehören filmische,
häufig satirische Analysen jener Gesellschaftsschicht schon seit
Jahrzehnten zum Standard-Repertoire der nationalen Kinoindustrie. Die
Werke grosser Cineasten wie Jean Renoir (La règle du jeu,
1939) oder Luis Buñuel (Le charme discret de la bourgeoisie,
1972) sind in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen; die
Darstellung und Charakterisierung der Bourgeoisie markierte jeweils
den gegenwärtigen Zustand der sich immer wieder neu ausdrückenden
Klasse. In der Tradition dieser Gesellschaftskomödien ist denn auch Le prénom gehalten, der auf dem gleichnamigen Theaterstück
der Regisseure Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière
basiert.
Noch herrscht Heiterkeit: Claude (Guillaume de Tonquédec, links) und
Pierre (Charles Berling, rechts) scherzen mit Vincent (Patrick
Bruel).
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Dass das Duo de la Patellière (ein Regie-Debütant)-Delaporte (ein
Sophomore) niemals die Höhen Renoirs und Buñuels erreicht, muss als
gegeben betrachtet werden. Ihr Film arbeitet zwar gut mit der
unausweichlichen Theaterhaftigkeit des Stoffes – das Geschehen ist
dramaturgisch solide aufgezogen und inszeniert –, doch dem Ganzen
fehlt ein stringenter Rhythmus. Le prénom ist ein recht
unstetes Erlebnis; flaue Passagen wechseln sich ab mit feurigen
Rededuellen, köstlichen Einzeilern, sogar berührenden
Geständnissen. Das Auf und Ab mag äusserst realistisch wirken, aber
dennoch wünschte man sich im einen oder anderen Moment etwas mehr
Überhöhung, etwas mehr Dynamik. Dies wäre den minimen Verlust an
Realismus allemal wert.
Doch im Ganzen vermag Le prénom durchaus zu gefallen. Dem Film
gelingt es, den Begriff der Bourgeoisie zu differenzieren, indem er
ihre Ausprägungen im 21. Jahrhundert amüsant unter die Lupe nimmt:
Er lässt das linke Bildungsbürgertum, den habilitierten Alt-68er
Pierre, auf den reichen Weinkenner Vincent – wunderbar gespielt von
Patrick Bruel, dessen Selbstbeweihräucherung Züge von Zero Mostels
Pseudolus in A Funny Thing Happened on the Way to the Forum
trägt – treffen, die frustrierte Akademikerin Babou auf die
Karrieristin Anna. Doch bei allem Zwist endet der Abend auf einer
versöhnlichen Note, ganz nach dem Motto: Es braucht schon mehr als
das Aufbrechen familiärer Abgründe, um das Familiengefüge zu
zerstören. Richtig französisch eben.
★★★
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