Die italienische Demokratie mit ihren mafiösen Verhältnissen und
ihrem Hang zu zwielichtigen Personalien ist zweifellos die kurioseste
Westeuropas. Doch auch Frankreichs Staatsgeschäfte sorgen
regelmässig für Erstaunen. Anders als ihre südöstlichen Nachbarn
aber zeichnet sich die Politik der Grande Nation weniger durch
lächerlich anmutende Kapriolen, sondern durch fast schon groteske
Züge aus: Hier stellen Rechts- und Linksextreme etablierte Parteien,
es herrschen ausgeprägter Zentralismus und ausufernde Bürokratie.
Dieses Chaos satirisch-dramatisch aufzuarbeiten, das war die Absicht
der französisch-belgischen Koproduktion L'exercice de l'État.
Herausgekommen ist dabei leider nicht mehr als ein mühseliges
künstlerisches Experiment.
Vor gerade einmal sechs Monaten wurde der französische Politiker
Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) als Transportminister ins
Kabinett des Präsidenten (Stefan Wojtowicz) berufen. Nun gehört er
bereits zu den beliebtesten Staatsmännern des Landes, auch weil er
sich gerne als fürsorglicher Bürgerfreund inszeniert. Verunfallt
nachts in den verschneiten Ardennen ein Reisebus voller Jugendlicher,
setzt er sich umgehend in den Hubschrauber, besucht die Unfallstelle
und lässt sich im Nachhinein die positiven Schlagzeilen vorlesen. So
kommt denn die grösste Herausforderung seiner Amtszeit nicht von
aussen, sondern von innen: Finanzminister Peralta (François
Vincentelli) will die SNCF-Bahnhöfe privatisieren lassen, um die
Staatsschulden abzubauen. Vom Konsens des Kabinetts überstimmt,
müssen der Privatisierungsgegner Bertrand und sein Team, allen voran
der gerissene Gilles (Michel Blanc), einlenken. Denn die eigene
Karriere hat in der Politik Vorrang gegenüber der Integrität.
Hinter L'exercice de l'État, der in einigen Ländern den
simpleren Titel Le ministre trägt, steht ein waschechter
Auteur: Pierre Schoeller, Franzose, 51 Jahre alt, Regisseur,
Verfasser des Drehbuchs und Komponist der Filmmusik. Ein derartiger
Alleingang kann durchaus gelingen, wenn es sich beim Urheber um ein
ausgesprochenes Talent handelt und darüber hinaus die einzelnen
Elemente organisch ineinander greifen. Bei Schoeller aber ist beides
nur begrenzt der Fall; sein sphärischer Score ist in vielerlei
Hinsicht symptomatisch dafür, warum sein dritter Film nicht
funktioniert. Mystische, manchmal sogar unheimliche Klänge umwummern
die Szenen, ihre Dichte nimmt mit fortlaufender Filmdauer zu. Ihr
Zweck bleibt ebenso rätselhaft wie die Atmosphäre, welche sie
simulieren. Man kann sie als überirdischen Kontrast zum kühlen,
profanen Polit-Geschehen interpretieren; sie könnten ein weiterer
Ausdruck von Bertrands bizarren sexuellen Fantasien sein, die
irgendwo zwischen Kubricks Eyes Wide Shut und Jodorowskys La
montaña sagrada anzusiedeln sind.
Bürgerfreund in Aktion: Transportminister Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) setzt sich mit Demonstranten auseinander. |
Der Musik folgt das Drehbuch, dessen Dialoge zwar – im Rahmen, den
die Thematik erlaubt – einigermassen geradlinig verlaufen, mitunter
aber von enervierend kryptischen, ja geradezu selbstherrlich
enigmatischen Linien durchsetzt sind. Schoeller versucht, mittels
Verwirrung und Exzentrik das Gefühl von Subtext herzustellen, den
Zuschauer glauben zu lassen, er wohne einer ungemein raffinierten
Dekonstruktion des Homo Politicus bei. Hin und wieder sind durchaus
interessante Ansätze erkennbar – etwa bei den Kabinettssitzungen,
wenn "le père", der Präsident, anwesend ist; zuweilen ist
man sogar geneigt, die undurchdringliche, von ästhetischen
Ablenkungen geprägte Fassade als satirische Imitation politischer
Ränkespiele zu lesen. Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich
das Ganze als eher billige Scharade, Rauch und Spiegel. Schoeller
ertränkt die zweifelsfrei vorhandenen Qualitäten seines Films –
den bis in die Nebenrollen (Laurent Stocker, Sylvain Deblé, Anne
Azoulay) hervorragend aufspielenden Cast, allen voran Olivier
Gourmet, Julien Hirschs harte Bilderwelten eines kriselnden
Frankreichs – in übertriebenem Formalismus, das Wesentliche wird
von unnötigen Schnörkeln und Schlenkern verschleiert.
So reüssiert der stellenweise arg bemühende Film weder auf
politischer noch auf menschlicher Ebene. Die an die unglücklichen
Bemühungen Alice Rohrwachers in Corpo celeste erinnernde
Ästhetik verhindert jegliche Form von emotionaler Anbindung; die
kleinen und grossen Katastrophen, welche Bertrand Saint-Jean auf
seiner psychischen und physischen Odyssee widerfahren, hinterlassen
nicht den geringsten Eindruck. L'exercice de l'État wirkt
bestenfalls wie eine zahn- und humorlose Variation der beliebten
britischen Sitcoms Yes Minister und Yes, Prime Minister aus
den Achtzigerjahren. Das Pantheon der Film-Auteurs liegt für Pierre
Schoeller derzeit noch in weiter Ferne.
★★
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