Mittwoch, 22. August 2012

L'exercice de l'État

Die italienische Demokratie mit ihren mafiösen Verhältnissen und ihrem Hang zu zwielichtigen Personalien ist zweifellos die kurioseste Westeuropas. Doch auch Frankreichs Staatsgeschäfte sorgen regelmässig für Erstaunen. Anders als ihre südöstlichen Nachbarn aber zeichnet sich die Politik der Grande Nation weniger durch lächerlich anmutende Kapriolen, sondern durch fast schon groteske Züge aus: Hier stellen Rechts- und Linksextreme etablierte Parteien, es herrschen ausgeprägter Zentralismus und ausufernde Bürokratie. Dieses Chaos satirisch-dramatisch aufzuarbeiten, das war die Absicht der französisch-belgischen Koproduktion L'exercice de l'État. Herausgekommen ist dabei leider nicht mehr als ein mühseliges künstlerisches Experiment.

Vor gerade einmal sechs Monaten wurde der französische Politiker Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) als Transportminister ins Kabinett des Präsidenten (Stefan Wojtowicz) berufen. Nun gehört er bereits zu den beliebtesten Staatsmännern des Landes, auch weil er sich gerne als fürsorglicher Bürgerfreund inszeniert. Verunfallt nachts in den verschneiten Ardennen ein Reisebus voller Jugendlicher, setzt er sich umgehend in den Hubschrauber, besucht die Unfallstelle und lässt sich im Nachhinein die positiven Schlagzeilen vorlesen. So kommt denn die grösste Herausforderung seiner Amtszeit nicht von aussen, sondern von innen: Finanzminister Peralta (François Vincentelli) will die SNCF-Bahnhöfe privatisieren lassen, um die Staatsschulden abzubauen. Vom Konsens des Kabinetts überstimmt, müssen der Privatisierungsgegner Bertrand und sein Team, allen voran der gerissene Gilles (Michel Blanc), einlenken. Denn die eigene Karriere hat in der Politik Vorrang gegenüber der Integrität.

Hinter L'exercice de l'État, der in einigen Ländern den simpleren Titel Le ministre trägt, steht ein waschechter Auteur: Pierre Schoeller, Franzose, 51 Jahre alt, Regisseur, Verfasser des Drehbuchs und Komponist der Filmmusik. Ein derartiger Alleingang kann durchaus gelingen, wenn es sich beim Urheber um ein ausgesprochenes Talent handelt und darüber hinaus die einzelnen Elemente organisch ineinander greifen. Bei Schoeller aber ist beides nur begrenzt der Fall; sein sphärischer Score ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch dafür, warum sein dritter Film nicht funktioniert. Mystische, manchmal sogar unheimliche Klänge umwummern die Szenen, ihre Dichte nimmt mit fortlaufender Filmdauer zu. Ihr Zweck bleibt ebenso rätselhaft wie die Atmosphäre, welche sie simulieren. Man kann sie als überirdischen Kontrast zum kühlen, profanen Polit-Geschehen interpretieren; sie könnten ein weiterer Ausdruck von Bertrands bizarren sexuellen Fantasien sein, die irgendwo zwischen Kubricks Eyes Wide Shut und Jodorowskys La montaña sagrada anzusiedeln sind.

Bürgerfreund in Aktion: Transportminister Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) setzt sich mit Demonstranten auseinander.
Der Musik folgt das Drehbuch, dessen Dialoge zwar – im Rahmen, den die Thematik erlaubt – einigermassen geradlinig verlaufen, mitunter aber von enervierend kryptischen, ja geradezu selbstherrlich enigmatischen Linien durchsetzt sind. Schoeller versucht, mittels Verwirrung und Exzentrik das Gefühl von Subtext herzustellen, den Zuschauer glauben zu lassen, er wohne einer ungemein raffinierten Dekonstruktion des Homo Politicus bei. Hin und wieder sind durchaus interessante Ansätze erkennbar – etwa bei den Kabinettssitzungen, wenn "le père", der Präsident, anwesend ist; zuweilen ist man sogar geneigt, die undurchdringliche, von ästhetischen Ablenkungen geprägte Fassade als satirische Imitation politischer Ränkespiele zu lesen. Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich das Ganze als eher billige Scharade, Rauch und Spiegel. Schoeller ertränkt die zweifelsfrei vorhandenen Qualitäten seines Films – den bis in die Nebenrollen (Laurent Stocker, Sylvain Deblé, Anne Azoulay) hervorragend aufspielenden Cast, allen voran Olivier Gourmet, Julien Hirschs harte Bilderwelten eines kriselnden Frankreichs – in übertriebenem Formalismus, das Wesentliche wird von unnötigen Schnörkeln und Schlenkern verschleiert.

So reüssiert der stellenweise arg bemühende Film weder auf politischer noch auf menschlicher Ebene. Die an die unglücklichen Bemühungen Alice Rohrwachers in Corpo celeste erinnernde Ästhetik verhindert jegliche Form von emotionaler Anbindung; die kleinen und grossen Katastrophen, welche Bertrand Saint-Jean auf seiner psychischen und physischen Odyssee widerfahren, hinterlassen nicht den geringsten Eindruck. L'exercice de l'État wirkt bestenfalls wie eine zahn- und humorlose Variation der beliebten britischen Sitcoms Yes Minister und Yes, Prime Minister aus den Achtzigerjahren. Das Pantheon der Film-Auteurs liegt für Pierre Schoeller derzeit noch in weiter Ferne.

★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen