Freitag, 3. August 2012

Mientras duermes

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Einmal mehr bestätigt Spanien seinen Ruf, gehalt- und anspruchsvolle Horrorfilme zu produzieren. Mientras duermes ist ein raffiniertes Kammerspiel, ein packender Psychothriller, der mit subtilen Anspielungen auf Klassiker und einem herausragenden Hauptdarsteller auftrumpfen kann.

Niemand achtet auf César (Luis Tosar), den Portier und Hausmeister eines Appartementkomplexes in Barcelona. Doch der Mann hinter dem Empfangstisch in der Lobby kennt die Geheimnisse der Bewohner und merkt sich ganz genau, wessen Wohnung zu welcher Tageszeit leer steht. Besonders interessiert ihn das Leben der hübschen Carla (Marta Etura), welcher er jeden Morgen die Lifttüre öffnet und einen schönen Tag wünscht. Doch das nicht von ihrem Gesicht weichende Lächeln und ihre optimistische Lebenseinstellung stürzen ihn in tiefste Depressionen. Ist sie glücklich, kann er nicht glücklich sein. Als Hausmeister hat César die Möglichkeit, in alle Wohnungen einzudringen. Er schickt sich an, Carla Schaden zuzufügen und ihr Leben zu zerstören, um sich endlich besser zu fühlen. Die einzige Gefahr für seinen perfiden Plan stellt ein kleines Mädchen (Iris Almeida) dar.

Dass sich die spanische Filmindustrie über die letzten zehn Jahre zur führenden europäischen Produzentin von Horrorfilmen gemausert hat, ist zu einem schönen Teil das Verdienst des katalanischen Genre-Experten Jaume Balagueró. 1999 feierte sein Langspielfilm-Debüt Los sin nombre Premiere; es folgten Projekte wie Frágiles (2005) oder die international beachtete [Rec]-Serie (2007, 2009, 2012); einzig die amerikanisch-spanische Koproduktion Darkness (2002) erwies sich als Schlag ins Wasser. Mit Mientras duermes, der international unter dem Titel Sleep Tight und mit der etwas unglücklichen Tagline "Don't let the bedbugs bite" vertrieben wird, entfernt sich Balagueró wieder vom physischen Schrecken, dem er etwa in [Rec] frönte, und widmet sich dem feineren, um ein Vielfaches wirksameren psychologischen Grauen. Dabei beweist er, dass er sich nicht nur der hehren Geschichte dieser Disziplin bewusst ist – während des ganzen Films schwingt Alfred Hitchcock mit, vom fast vereitelten Wohnungseinbruch (Rear Window) bis zum Bösewicht mit Mutterkomplex (Psycho) –, sondern auch der Filmhistorie im Allgemeinen; Anklänge an den Film Noir finden ebenso ihren Platz wie Rückbesinnungen auf das Insektenmotiv des klassischen spanischen Surrealismus nach Luis Buñuel und Salvador Dalí (Un chien andalou).

Hinterhältiger Hausmeister: César (Luis Tosar) begutachtet den Kakerlakenbefall in Carlas (Marta Etura) Wohnung. Woher die Krabbler wohl kommen?
Auch umgehen Balagueró und Autor Alberto Marini, der am Ende zwar ein paar Handlungsstränge baumeln lässt, in Mientras duermes eine der Fallen des zeitgenössischen Horrorfilms: Niemals ergeben sie sich der Versuchung, von billiger Sensationslust Gebrauch zu machen. Der Film greift nicht nach den einfachen "Jump Scares", sondern erzielt Wirkung durch seine klaustrophobische Atmosphäre, Lucas Vidals effektiven Musikscore, eine prägnante Bildsprache und die imposante Leinwandpräsenz Luis Tosars. Tosar, der zuvor schon in exzellenten Filmen wie Icíar Bollaíns proletarischem Drama También la lluiva oder Jim Jarmuschs enigmatisch-existenzalistischem The Limits of Control zu sehen war, beherrscht als Bösewicht-Protagonist das Geschehen des Films; seine hasserfüllten Monologe evozieren Edward Norton in Spike Lees 25th Hour; er funktioniert sowohl als eigenständiger Charakter, als auch als Symbol für das Böse im Menschen – ein unheimlicher, aber gelungener Balanceakt.

★★★★

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