Mittwoch, 8. August 2012

To Rome with Love

Nach einer Reihe nicht sonderlich erfolgreicher Filme konnte Woody Allen 2011 mit Midnight in Paris die Gunst von Kritik und Publikum zurückerobern. Die genüsslich intellektuelle Verklärung der Stadt der Liebe avancierte zu Allens kommerziell erfolgreichstem Projekt und wurde mit dem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet. In seinem neuen Film fühlt sich der Kult-Regisseur nun in keinster Weise dazu verpflichtet, im gleichen Stil fortzufahren: To Rome with Love ist ein vergnüglicher, kaum getarnter Rückgriff auf sein komödiantisches Frühwerk.

Die Europatournee des Woody Allen erreicht ihre nächste Station. London (Match Point, Scoop, Cassandra's Dream, You Will Meet a Tall Dark Stranger), Barcelona (Vicky Cristina Barcelona) und Paris liegen hinter ihm; Rom darf auf einer derartigen Reise nicht fehlen. Vor allem, da in der ewigen Stadt alles eine Geschichte ist, die sich zu erzählen lohnt – zumindest wenn es nach dem Verkehrspolizisten auf der Piazza Venezia geht. Da wäre etwa das amerikanische Ehepaar Phyllis (Judy Davis), scharfzüngige Psychoanalytikerin, und Jerry (Woody Allen, der erstmals seit Scoop von 2006 wieder vor der Kamera zu sehen ist), griesgrämiger Opernproduzent im Ruhestand, welche in Rom den Verlobten ihrer Tochter Hayley (Alison Pill) kennen lernen sollen. Doch Jerrys Interesse gilt bald schon dem Vater seines zukünftigen Schwiegersohns. Der Bestatter Giancarlo (Fabio Armiliato) schmettert unter der Dusche – und nur unter der Dusche – nämlich grandiose Arien. In einem anderen Teil der Stadt plagen den jungen Architekten Jack (Jesse Eisenberg) ganz andere Sorgen. Zwar redet er sich ein, nur Augen für seine Freundin Sally (Greta Gerwig) zu haben, doch als deren Freundin Monica (Ellen Page) zu Besuch kommt, ist er sich dessen nicht mehr so sicher. Als besonders hilfreich erweisen sich dabei die imaginären Ratschläge des Stararchitekten John (Alec Baldwin) nicht. Doch auch Einheimische sind vor den Tücken Roms nicht gefeit: Das langweilige Leben des Durchschnittsbürgers Leopoldo (Roberto Benigni) erweckt plötzlich unerklärliches Interesse; er wird fortan von Fernsehteams, Autogrammjägern und gut aussehenden Verehrerinnen verfolgt. Derweil verliert sich das frisch gebackene, gerade aus der Provinz angekommene Ehepaar Milly (Alessandra Mastronardi) und Antonio (Alessandro Tiberi) durch eine Reihe unglücklicher Zufälle aus den Augen. Milly trifft dabei auf ihren Lieblingsschauspieler (Antonio Albanese), während Antonio unverhofft Besuch von der Prostituierten Anna (Penélope Cruz) erhält, welche er seinen konservativen Onkeln als seine neue Frau vorstellen muss.

Imaginäre Hilfe fürs Gewissen: Jack (Jesse Eisenberg) erhält Liebesratschläge vom Stararchitekten John (Alec Baldwin).
Oscars und andere Preise waren noch nie in der Lage, Woody Allens Arbeit zu beeinflussen. Nachdem er mit Annie Hall – der die sprechende Line "They're always giving out awards. Best Fascist Dictator: Adolf Hitler" enthält – die amerikanische Komödie praktisch revolutioniert hatte und von der Academy entsprechend geehrt worden war, drehte er mit Interiors ein Drama. Dem durchschlagenden Erfolg der Tragikomödie Hannah and Her Sisters – drei Oscars, einschliesslich Drehbuch – liess er September folgen, eine Tragödie. Und nun, ein Jahr nach dem Überraschungshit Midnight in Paris, liess er auch dieses Erfolgsrezept links liegen und drehte seinen ersten aus unzusammenhängenden Einzelgeschichten aufgebauten Film seit Everything You Always Wanted to Know About Sex But Were Afraid to Ask (1972). Überhaupt wirkt To Rome with Love wie eine Reminiszenz an Allens Schaffen in den frühen Siebzigerjahren, die überwiegend auf Vignetten basierenden Farcen, die Hit-and-Miss-Komödien, in denen sich zahllose gute Ideen fanden, aber nur manche richtig ausgeführt wurden.

In diesen Kontext gestellt, befindet sich To Rome with Love mit Bananas, Sleeper oder eben Everything You Always Wanted to Know About Sex in bester Gesellschaft. Es funktioniert bei weitem nicht alles: Die Geschichte um Milly und Antonio wirkt gleichzeitig unsorgfältig ausgearbeitet und skizzenhaft und zu überladen. Allzu unwahrscheinlicher Zufall reiht sich an allzu unwahrscheinlichen Zufall, die Schauspielleistungen reichen von blass – auch wenn dies bei Alessandro Tiberi und Alessandra Mastronardi Teil der Charakterisierung ist – bis, im Falle von Penélope Cruz' ungelenker Selbstkarikierung, übertrieben. Doch selbst in dieser qualitativ abfallenden Episode finden sich Allen'sche Reize: gute Dialoge, unverwüstliche Elemente des klassischen Verwirrspiels, komische Überhöhung. Authentisch wirkt der ganz auf den gewohnt beseelt aufspielenden Roberto Benigni zugeschnittene Teil des Films – eine absurdistische Variation von George Cukors It Should Happen to You: Es spielen Italiener, es wird im Römer Dialekt gesprochen, die aufgegriffenen Stereotypen stammen aus dem italienischen Kino; die einheimischen Geschichten verzichten auf die touristische Dimension.

Der Durchschnittsrömer: Leopoldo Pisanello (Roberto Benigni) ahnt noch nichts von seiner plötzlichen Berühmtheit.
Überhaupt steht hier Rom weniger im Mittelpunkt als Paris in seinem Vorgänger. Die ewige Stadt ist die Leinwand, auf der Allen seiner Fantasie der fortwährenden menschlichen Komödie freien Lauf lässt. Nicht mehr und nicht weniger. Dabei überrascht es nicht, dass diese Komödie hauptsächlich von Inkarnationen des Regisseurs selber bevölkert wird: Da wäre natürlich Jerry, dessen Name kaum mehr als ein Pseudonym für den Darsteller dahinter ist. Allen vollendet das Experiment, welches er mit Larry David in Whatever Works begann, und erweitert den Archetypen des Stadtneurotikers um die Tücken des Alterns; das Resultat sind hochklassige Einzeiler, wie sie nur ein ehemaliger Stand-Up-Komiker zustande bringt. Doch auch die anderen zentralen Figuren, inklusive Tiberi und Benigni, tragen die Züge Alvy Singers, Miles Monroes, Fielding Mellishs oder Allen Felix'. Jesse Eisenberg blüht auf in der Rolle des mit zwei Objekten der Begierde überforderten Intellektuellen. Ihm gegenüber steht Ellen Page, die mit fünf Psychotherapiesitzungen pro Woche selber ein wenig Woody Allen ist. Sie beide unterhalten sich, oft sogar im gleichen Moment, mit dem die Grenzen seiner eigenen Inexistenz sprengenden Alec Baldwin – ein Rückgriff auf ähnliche Konstrukte wie Humphrey Bogart in Play It Again, Sam oder den griechischen Chor in Mighty Aphrodite.

Die philosophischen Dilemmas, die Allen immer wieder aufgreift, figurieren auch in To Rome with Love – die Antwort auf Leopoldos Frage, weshalb er "hier" (im Fernsehstudio) sitzt, lautet knapp: "Um unsere Fragen zu beantworten" –, sind aber nicht mehr als Teil der unverwechselbaren Handschrift des Regisseurs. Letzten Endes aber zählt der Unterhaltungswert. Dies ist ein Film, dem der Sinn nach nichts steht, ausser dem Zuschauer kurzweilige 110 Minuten zu bieten, was ihm zweifellos auch gelingt. Einen Oscar wird Woody Allen dafür nicht gewinnen; schmerzen wird ihn dies nicht.

★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen