Nach einer Reihe nicht sonderlich erfolgreicher Filme konnte Woody
Allen 2011 mit Midnight in Paris die Gunst von Kritik und
Publikum zurückerobern. Die genüsslich intellektuelle Verklärung
der Stadt der Liebe avancierte zu Allens kommerziell erfolgreichstem
Projekt und wurde mit dem Oscar für das beste Drehbuch
ausgezeichnet. In seinem neuen Film fühlt sich der Kult-Regisseur
nun in keinster Weise dazu verpflichtet, im gleichen Stil
fortzufahren: To Rome with Love ist ein vergnüglicher, kaum
getarnter Rückgriff auf sein komödiantisches Frühwerk.
Die Europatournee des Woody Allen erreicht ihre nächste Station.
London (Match Point,
Scoop,
Cassandra's Dream,
You Will Meet a Tall
Dark Stranger),
Barcelona (Vicky
Cristina Barcelona)
und Paris liegen hinter ihm; Rom darf auf einer derartigen Reise
nicht fehlen. Vor allem, da in der ewigen Stadt alles eine Geschichte
ist, die sich zu erzählen lohnt – zumindest wenn es nach dem
Verkehrspolizisten auf der Piazza Venezia geht. Da wäre etwa das
amerikanische Ehepaar Phyllis (Judy Davis), scharfzüngige
Psychoanalytikerin, und Jerry (Woody Allen, der erstmals seit Scoop
von 2006 wieder vor
der Kamera zu sehen ist), griesgrämiger Opernproduzent im Ruhestand,
welche in Rom den Verlobten ihrer Tochter Hayley (Alison Pill) kennen
lernen sollen. Doch Jerrys Interesse gilt bald schon dem Vater seines
zukünftigen Schwiegersohns. Der Bestatter Giancarlo (Fabio
Armiliato) schmettert unter der Dusche – und nur unter der Dusche –
nämlich grandiose Arien. In einem anderen Teil der Stadt plagen den
jungen Architekten Jack (Jesse Eisenberg) ganz andere Sorgen. Zwar
redet er sich ein, nur Augen für seine Freundin Sally (Greta Gerwig)
zu haben, doch als deren Freundin Monica (Ellen Page) zu Besuch
kommt, ist er sich dessen nicht mehr so sicher. Als besonders
hilfreich erweisen sich dabei die imaginären Ratschläge des
Stararchitekten John (Alec Baldwin) nicht. Doch auch Einheimische
sind vor den Tücken Roms nicht gefeit: Das langweilige Leben des
Durchschnittsbürgers Leopoldo (Roberto Benigni) erweckt plötzlich
unerklärliches Interesse; er wird fortan von Fernsehteams,
Autogrammjägern und gut aussehenden Verehrerinnen verfolgt. Derweil
verliert sich das frisch gebackene, gerade aus der Provinz
angekommene Ehepaar Milly (Alessandra Mastronardi) und Antonio
(Alessandro Tiberi) durch eine Reihe unglücklicher Zufälle aus den
Augen. Milly trifft dabei auf ihren Lieblingsschauspieler (Antonio
Albanese), während Antonio unverhofft Besuch von der Prostituierten
Anna (Penélope Cruz) erhält, welche er seinen konservativen Onkeln
als seine neue Frau vorstellen muss.
Imaginäre Hilfe fürs Gewissen: Jack (Jesse Eisenberg) erhält Liebesratschläge vom Stararchitekten John (Alec Baldwin). |
Oscars und andere Preise waren
noch nie in der Lage, Woody Allens Arbeit zu beeinflussen. Nachdem er
mit Annie Hall
– der die sprechende Line "They're always giving out awards.
Best Fascist Dictator: Adolf Hitler" enthält –
die amerikanische
Komödie praktisch revolutioniert hatte und von der Academy
entsprechend geehrt worden war, drehte er mit Interiors
ein Drama. Dem durchschlagenden Erfolg der Tragikomödie Hannah
and Her Sisters –
drei Oscars, einschliesslich Drehbuch – liess er September
folgen, eine Tragödie.
Und nun, ein Jahr nach dem Überraschungshit Midnight
in Paris, liess er
auch dieses Erfolgsrezept links liegen und drehte seinen ersten aus
unzusammenhängenden Einzelgeschichten aufgebauten Film seit
Everything You Always
Wanted to Know About Sex But Were Afraid to Ask (1972).
Überhaupt wirkt To
Rome with Love wie
eine Reminiszenz an Allens Schaffen in den frühen Siebzigerjahren,
die überwiegend auf Vignetten basierenden Farcen, die
Hit-and-Miss-Komödien, in denen sich zahllose gute Ideen fanden,
aber nur manche richtig ausgeführt wurden.
In diesen Kontext gestellt,
befindet sich To Rome
with Love mit Bananas,
Sleeper oder
eben Everything You
Always Wanted to Know About Sex
in bester Gesellschaft. Es funktioniert bei weitem nicht alles: Die
Geschichte um Milly und Antonio wirkt gleichzeitig unsorgfältig
ausgearbeitet und skizzenhaft und zu überladen. Allzu
unwahrscheinlicher Zufall reiht sich an allzu unwahrscheinlichen
Zufall, die Schauspielleistungen reichen von blass – auch wenn dies
bei Alessandro Tiberi und Alessandra Mastronardi Teil der
Charakterisierung ist – bis, im Falle von Penélope Cruz'
ungelenker Selbstkarikierung, übertrieben. Doch selbst in dieser
qualitativ abfallenden Episode finden sich Allen'sche Reize: gute
Dialoge, unverwüstliche Elemente des klassischen Verwirrspiels,
komische Überhöhung. Authentisch wirkt der ganz auf den gewohnt
beseelt aufspielenden Roberto Benigni zugeschnittene Teil des Films –
eine absurdistische Variation von George Cukors It
Should Happen to You:
Es spielen Italiener, es wird im Römer Dialekt gesprochen, die
aufgegriffenen Stereotypen stammen aus dem italienischen Kino; die
einheimischen Geschichten verzichten auf die touristische Dimension.
Der Durchschnittsrömer: Leopoldo Pisanello (Roberto Benigni) ahnt noch nichts von seiner plötzlichen Berühmtheit. |
Überhaupt steht hier Rom weniger
im Mittelpunkt als Paris in seinem Vorgänger. Die ewige Stadt ist
die Leinwand, auf der Allen seiner Fantasie der fortwährenden
menschlichen Komödie freien Lauf lässt. Nicht mehr und nicht
weniger. Dabei überrascht es nicht, dass diese Komödie
hauptsächlich von Inkarnationen des Regisseurs selber bevölkert
wird: Da wäre natürlich Jerry, dessen Name kaum mehr als ein
Pseudonym für den Darsteller dahinter ist. Allen vollendet das
Experiment, welches er mit Larry David in Whatever
Works begann, und
erweitert den Archetypen des Stadtneurotikers um die Tücken des
Alterns; das Resultat sind hochklassige Einzeiler, wie sie nur ein
ehemaliger Stand-Up-Komiker zustande bringt. Doch auch die anderen
zentralen Figuren, inklusive Tiberi und Benigni, tragen die Züge
Alvy Singers, Miles Monroes, Fielding Mellishs oder Allen Felix'.
Jesse Eisenberg blüht auf in der Rolle des mit zwei Objekten der
Begierde überforderten Intellektuellen. Ihm gegenüber steht Ellen
Page, die mit fünf Psychotherapiesitzungen pro Woche selber ein
wenig Woody Allen ist. Sie beide unterhalten sich, oft sogar im
gleichen Moment, mit dem die Grenzen seiner eigenen Inexistenz
sprengenden Alec Baldwin – ein Rückgriff auf ähnliche Konstrukte
wie Humphrey Bogart in Play
It Again, Sam oder den
griechischen Chor in Mighty
Aphrodite.
Die philosophischen Dilemmas, die
Allen immer wieder aufgreift, figurieren auch in To
Rome with Love – die
Antwort auf Leopoldos Frage, weshalb er "hier" (im
Fernsehstudio) sitzt, lautet knapp: "Um unsere Fragen zu
beantworten" –, sind aber nicht mehr als Teil der
unverwechselbaren Handschrift des Regisseurs. Letzten Endes aber
zählt der Unterhaltungswert. Dies ist ein Film, dem der Sinn nach
nichts steht, ausser dem Zuschauer kurzweilige 110 Minuten zu bieten,
was ihm zweifellos auch gelingt. Einen Oscar wird Woody Allen dafür
nicht gewinnen; schmerzen wird ihn dies nicht.
★★★
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