Es lässt sich darüber streiten, ob alle Kunst tatsächlich
politisch ist, wie es der Dramatiker August Wilson einmal
postulierte. Über das Werk des chinesischen Installationskünstlers
Ai Weiwei besteht diesbezüglich aber kein Zweifel. Alison Klaymans
Dokumentation liefert spannende Einblicke in seine Arbeit.
Seine Kunst provoziert, amüsiert und fasziniert die Massen, während
sie der chinesischen Regierung arges Kopfzerbrechen bereitet. Ai
Weiwei, geboren 1957, Sohn des bei Mao in Ungnade gefallenen
kommunistischen Dichters Ai Qing, lässt den Boden eines Londoner
Austellungsraumes mit rund 100 Millionen handbemalten
Sonnenblumenkernen aus Porzellan bedecken; er veröffentlicht Fotos
von sich, wie er dem Tiananmen-Platz den Stinkefinger zeigt; er
stellt Videos ins Internet, in denen er und seine Kollegen in ihren
jeweiligen Dialekten "Fuck You, Motherland" sagen; er zerstört
neolithische Vasen; immer wieder bedient er sich der stark auf
Aussprache beruhenden chinesischen Sprache. Diese Ideen schmiedet er
in seinem Pekinger Heimatelier "258 Fake", das er mit seiner
Frau, einigen Hunden und rund 40 Katzen teilt. Hier befand sich auch
das Hauptquartier seines Projekts, die Namen der bei einem Erdbeben
in Sichuan im Jahr 2008 umgekommenen Schulkinder herauszufinden. Für
dieses Engagement bezog er polizeiliche Prügel, woraufhin er den
Kampf mit der Bürokratie aufnahm und versuchte, den Schläger
anzuzeigen. Doch trotz aller internationaler Berühmtheit lebt Ai
gefährlich: 2011 verschwand er spurlos und wurde erst zweieinhalb
Monate später von den Behörden wieder frei gelassen.
Der Reiz der Person Ai
Weiwei ähnelt dem Reiz seiner Installationen: Der Mann versteht es
hervorragend, die Balance zwischen Enfant terrible und Unschuldslamm
zu halten und so mit den Erwartungen seiner Fans zu spielen. Macht er
ein Wortspiel mit "Grass mud horse covering the middle", was auf
Chinesisch fast gleich klingt wie "Fuck your mother, the Communist
party central committee", dann kann man ihm eine böse Absicht
nicht schlüssig nachweisen. Auch seine Mission, den Polizeibeamten,
der ihm einen lebensgefährlichen Schlag an den Kopf versetzte, zur
Rechenschaft zu ziehen, ist überraschend gesetzeskonform: Ai will
nicht gegen die Polizeigewalt vorgehen, denn die gibt es ja überall,
sondern die Behörden dazu bringen, den Vorfall wenigstens zuzugeben.
In seinem
Atelier schafft Ai Weiwei nicht nur Kunst, sondern nutzt auch
ausgiebig die Möglichkeiten des Informationszeitalters.
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Alison Klayman, die dem
Künstler erstmals 2008 begegnete und bis kurz vor dessen Festnahme
wiederholt Interviews mit ihm führte, interessiert sich in Ai
Weiwei: Never Sorry weniger für den Privat- und Familienmenschen
Ai – seine etwas verlegenen Kommentare zum Kind, das aus einer
ehelichen Untreue entstanden ist, ausgenommen – und mehr für den
Aktivisten und Kulturschaffenden. Ist das Ganze enorm parteiisch? Ja,
aber im allerbesten Sinne. Der – trotz seines allzu hastigen und
deprimierenden, der frechen Frohnatur nur wenig entsprechenden
Schlusses – höchst unterhaltsame, hoch spannende und rebellische
Film lebt von Ais Michael Moore'scher Liebe für die zu derben Gesten
und Worte, seine markigen, von sardonischem Humor durchsetzten
Kommentare zur chinesischen Politik, mit der er sich in einem
Schachspiel begreift – Zug für Zug wird das Gegenüber zermürbt.
Die Rolle Ais im modernen China bringt der Film indes bereits in
seinen ersten Momenten unmissverständlich zum Ausdruck. Eine seiner
vielen Katzen spielt mit einer Miniatur aus Holzstäbchen, doch der
Meister hindert seinen Assistenten daran, sie zu verjagen. "Ist
schon gut", sagt er sanft, "sie wird es nicht kaputtmachen."
★★★★
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