Donnerstag, 27. September 2012

Ai Weiwei: Never Sorry

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Es lässt sich darüber streiten, ob alle Kunst tatsächlich politisch ist, wie es der Dramatiker August Wilson einmal postulierte. Über das Werk des chinesischen Installationskünstlers Ai Weiwei besteht diesbezüglich aber kein Zweifel. Alison Klaymans Dokumentation liefert spannende Einblicke in seine Arbeit.

Seine Kunst provoziert, amüsiert und fasziniert die Massen, während sie der chinesischen Regierung arges Kopfzerbrechen bereitet. Ai Weiwei, geboren 1957, Sohn des bei Mao in Ungnade gefallenen kommunistischen Dichters Ai Qing, lässt den Boden eines Londoner Austellungsraumes mit rund 100 Millionen handbemalten Sonnenblumenkernen aus Porzellan bedecken; er veröffentlicht Fotos von sich, wie er dem Tiananmen-Platz den Stinkefinger zeigt; er stellt Videos ins Internet, in denen er und seine Kollegen in ihren jeweiligen Dialekten "Fuck You, Motherland" sagen; er zerstört neolithische Vasen; immer wieder bedient er sich der stark auf Aussprache beruhenden chinesischen Sprache. Diese Ideen schmiedet er in seinem Pekinger Heimatelier "258 Fake", das er mit seiner Frau, einigen Hunden und rund 40 Katzen teilt. Hier befand sich auch das Hauptquartier seines Projekts, die Namen der bei einem Erdbeben in Sichuan im Jahr 2008 umgekommenen Schulkinder herauszufinden. Für dieses Engagement bezog er polizeiliche Prügel, woraufhin er den Kampf mit der Bürokratie aufnahm und versuchte, den Schläger anzuzeigen. Doch trotz aller internationaler Berühmtheit lebt Ai gefährlich: 2011 verschwand er spurlos und wurde erst zweieinhalb Monate später von den Behörden wieder frei gelassen.

Der Reiz der Person Ai Weiwei ähnelt dem Reiz seiner Installationen: Der Mann versteht es hervorragend, die Balance zwischen Enfant terrible und Unschuldslamm zu halten und so mit den Erwartungen seiner Fans zu spielen. Macht er ein Wortspiel mit "Grass mud horse covering the middle", was auf Chinesisch fast gleich klingt wie "Fuck your mother, the Communist party central committee", dann kann man ihm eine böse Absicht nicht schlüssig nachweisen. Auch seine Mission, den Polizeibeamten, der ihm einen lebensgefährlichen Schlag an den Kopf versetzte, zur Rechenschaft zu ziehen, ist überraschend gesetzeskonform: Ai will nicht gegen die Polizeigewalt vorgehen, denn die gibt es ja überall, sondern die Behörden dazu bringen, den Vorfall wenigstens zuzugeben.

In seinem Atelier schafft Ai Weiwei nicht nur Kunst, sondern nutzt auch ausgiebig die Möglichkeiten des Informationszeitalters.
Alison Klayman, die dem Künstler erstmals 2008 begegnete und bis kurz vor dessen Festnahme wiederholt Interviews mit ihm führte, interessiert sich in Ai Weiwei: Never Sorry weniger für den Privat- und Familienmenschen Ai – seine etwas verlegenen Kommentare zum Kind, das aus einer ehelichen Untreue entstanden ist, ausgenommen – und mehr für den Aktivisten und Kulturschaffenden. Ist das Ganze enorm parteiisch? Ja, aber im allerbesten Sinne. Der – trotz seines allzu hastigen und deprimierenden, der frechen Frohnatur nur wenig entsprechenden Schlusses – höchst unterhaltsame, hoch spannende und rebellische Film lebt von Ais Michael Moore'scher Liebe für die zu derben Gesten und Worte, seine markigen, von sardonischem Humor durchsetzten Kommentare zur chinesischen Politik, mit der er sich in einem Schachspiel begreift – Zug für Zug wird das Gegenüber zermürbt. Die Rolle Ais im modernen China bringt der Film indes bereits in seinen ersten Momenten unmissverständlich zum Ausdruck. Eine seiner vielen Katzen spielt mit einer Miniatur aus Holzstäbchen, doch der Meister hindert seinen Assistenten daran, sie zu verjagen. "Ist schon gut", sagt er sanft, "sie wird es nicht kaputtmachen."

★★★★

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