Wim
Wenders, der Schöngeist, der Lyriker des Neuen Deutschen Films, hat
in seiner Karriere einige bemerkenswerte Projekte realisiert. So war
er mit Werken wie Alice in den Städten,
Im Lauf der Zeit oder
Paris, Texas einer der
Pioniere des europäischen Roadmovies; mit Ry Cooders Buena
Vista Social Club-Projekt-Dok
verhalf er der kubanischen Musik
zu internationaler Popularität und in Pina verband
er – wie im selben Jahr auch sein JDF-Kollege Werner Herzog – den
Dokumentarfilm mit der 3-D-Technik. Seinen wohl grössten Erfolg
feierte der Düsseldorfer aber mit dem Fantasydrama Der
Himmel über Berlin, der vor 25
Jahren, am 23. September 1987, in die Kinos kam. Zeit für einen
Rückblick.
Das geteilte Berlin in den Achtzigerjahren. Schon seit Äonen
beobachten und belauschen die beiden Engel Damiel (Bruno Ganz) und
Cassiel (Otto Sander) das irdische Leben. Hie und da stehen sie –
unsichtbar – Menschen in Notsituationen bei, legen ihnen eine
tröstende Hand auf die Schulter und versuchen, ihnen neuen Mut zu
geben. Doch Damiel reicht dies nicht: Sein Traum ist es, sich unter
die Menschen zu mischen, ein echtes Leben zu leben, ein "Teil
der Geschichte" zu werden. Er will "ahnen, statt immer nur
zu wissen". Den Entschluss, sterblich zu werden, fasst er
schliesslich, als er sich in die französische Trapezkünstlerin
Marion (Solveig Dommartin) verliebt. Hin und wieder trifft er auf
einen amerikanischen Filmstar (Peter Falk als er selbst), der in
einem Holocaust-Streifen einen Detektiv verkörpern soll. Derweil
folgt Cassiel einem alten Poeten (Curt Bois, der seiner acht
Jahrzehnte währenden Karriere hier einen würdigen Schlusspunkt
setzte), der sich auf seiner Suche nach dem Potsdamer Platz seiner
Kindheit nicht nur durch das moderne Berlin, sondern im Geiste auch
durch fast neunzig Jahre Stadtgeschichte wandert.
Um
sich Wenders' so komplexem wie poetischem Werks zu widmen, ist es das
Beste, ganz am Schluss anzusetzen. Dort steht nämlich: "Gewidmet
allen ehemaligen Engeln, vor allem aber Yasujiro, François und
Andrej". Gemeint sind drei grosse Filmemacher aus drei
verschiedenen Kulturen: der Japaner Ozu, der Franzose Truffaut und
der Russe Tarkovsky, Vorbilder Wenders', deren Einfluss sich in Der
Himmel über Berlin niederschlägt.
Einer der wenigen "richtigen" Dialoge des Films erinnert
mit den sich an die Kamera wendenen Protagonisten an Late
Spring oder Tokyo
Story; Damiel trägt in seinem
Finden der eigenen Identität Züge Antoine Doinels; Henri Alekans
(La Belle et la Bête) lange, oft nur mit menschlichen Gedankenfetzen auf der Tonspur
auskommende Kamerafahrten evozieren Stalker.
Himmlischer Besuch: Engel Damiel (Bruno Ganz) blickt von der Berliner Gedächtniskirche auf die Stadt und ihre Menschen hinab. |
Durch
das Vermischen dieser Stilmittel erzeugt Wenders eine hypnotische,
durch und durch faszinierende Atmosphäre, die einer Meditation über
das Leben an sich gleich kommt. Mithilfe der grösstenteils von Peter
Handke verfassten Gesprächen, welche ihrerseits häufig aus
Sprachbildern und Metaphern bestehen, verwandelt er das Berlin des
Films in eine Synecdoche: Es entstehen Kontraste zwischen der
Anonymität der hektischen deutsch-deutschen Metropole und der von
Damiel so ersehnten Schönheit des Augenblicks, in einer Szene
wunderbar beschrieben vom grossartig subtile Otto Sander. Die Sorgen
einzelner Menschen – ein lakonischer Selbstmörder,
eine gebärende Frau, ein abgewiesener Verehrer, eine
Amateur-Prostituierte, eine Rentnerin in Geldnot – wechseln sich ab
mit Archivaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg – fallende Bomben,
tote Kinder, aber auch Aufbau und Hoffnung – und Vogelperspektiven
des geteilten Nachkriegs-Berlins. Zusammen ergeben diese Impressionen
die ultimative Sinfonie
der Grossstadt, die Werner
Ruttmann 1927 in seiner gleichnamigen Dokumentation zelebrierte.
Doch
trotz seiner getragenen, melancholischen Stimmung ist Der
Himmel über Berlin ein ungemein
lebensbejahender Film, der metaphorisch wie buchstäblich das Licht
am Ende des Tunnels beschwört. Die menschliche Tragödie, das Wissen
um die Unausweichlichkeit des Todes, wird vom kindlichen Erstaunen
über das Wunder des Lebens übertrumpft; immer wieder zitiert
Damiel, dessen naive Begeisterung für alles Irdisch-Profane von
Bruno Ganz vorzüglich vermittelt wird, das "Lied vom Kindsein",
verfasst von Handke, inspiriert von Rilke. Der Engel zieht den Akt
des Kaffeetrinkens an einem kalten Tag der Unsterblichkeit vor; der
brillante Peter Falk nimmt sich eigentlich viel zu viel Zeit, den
passenden Hut auszuwählen; und selbst der täglich mit der eigenen
Vergänglichkeit konfrontierte Poet findet letztendlich seinen
Frieden.
Die Schönheit des Augenblicks: Damiel teilt seine Erlebnisse mit seinem Freund Cassiel (Otto Sander). |
"Nous
sommes embarqués" sind die letzten Worte des sechssprachigen
Films, bevor durch das antiklimaktische "Forsetzung folgt"
das Sequel (In weiter Ferne, so nah!,
1993) angekündigt wird. Im Kontext von Der Himmel über
Berlin sind beide Schlusspunkte
stimmig. Denn kaum ein anderer Film als Wim Wenders' Meisterstück
begreift das Leben derart poetisch und meditativ als wundersames und
fortwährendes Abenteuer. Trauer und Schmerz sind feste Bestandteile
dieses Abenteuers, doch wie die eingeflochtene Historiographie der
Titel gebenden Weltstadt zeigt, ist es gerade die Überwindung dieser
Bestandteile, die das Leben lebenswert machen. 25 Jahre sind seit
seinem Erscheinen vergangen, doch auch nach Glasnost, Perestroika und
Mauerfall ist Der Himmel über Berlin eine
aktuelle, universell anwendbare, wunderschöne philosophische Etüde
und ein Höhepunkt des deutschsprachigen Kinos.
★★★★★
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